Bodyneutrality: My Body, your Body, everybodys Body: Von wegen mein Körper gehört mir

Ein Frauenkörper ist anders. Ein Frauenkörper wird begutachtet, bewertet und ist immer optimierungsbedürftig. Vor allem im Sommer zeigt sich jedes Jahr, dass wir noch ganz weit entfernt davon sind, Körper nur Körper sein zu lassen.

Dieser Text erschien zuerst an dieser Stelle bei brigitte.de.

Ich stehe mit meinem Fahrrad an der Ampel und warte auf grün. Es ist heiß. Die Sonne gibt alles. Ich trage ein Top und eine Shorts. Der Mann, der im Auto vorbeifährt, bremst, fährt langsamer und begutachtet meinen Körper von oben bis unten. Ich fühle mich nackt. 

Ich bin auf dem Weg zur Bahn. Ich war mit einer Freundin verabredet. Es ist mittlerweile spät und auch andere Menschen um mich herum haben sich offenbar ein paar alkoholische Kaltgetränke gegönnt. Die Gruppe Männer zum Beispiel, die sich vor dem Zugang zu den Bahngleisen breitmacht. Ich setze meine Kopfhörer auf, hole mein Handy aus der Tasche und starre auf den Boden. Augen zu und durch, denke ich, während ich so schnell wie möglich durch sie hindurch husche, ihre Blicke auf mir spüre ich trotzdem. Als die Bahn endlich einfährt, scanne ich schon beim Vorbeirauschen der Waggons die Abteile nach großen Männergruppen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich meinen Sitzplatz während der Fahrt wechsele. Die Kopfhörer sind mein Schutzschild, genauso wie mein Handy. Ich fühle mich unsicher.

Ich bin im Schwimmbad. Um mich herum viele Frauen mit vielen unterschiedlichen Körpern. Die wenigsten scheinen sich wohlzufühlen. Liegend geht das mit dem flachen Bauch ja noch, aber auf dem Weg zum Wasser schlägt mir die Schwerkraft ein Schnippchen. Ich fühle mich unwohl. 

Zeigt her euren Körper, die Welt will wieder drüber reden

Warum regst du dich so auf? Frauen können doch heutzutage tun und lassen, was sie wollen. Du hast alle Möglichkeiten. Du kannst anziehen, was du willst, essen, was du willst, dich schminken, wie du willst. Deine Grenzen setzt du dir selbst. Du bist frei. LOL, frei … Das ist das, was uns erzählt wird. Das ist das, was wir uns gern einreden, wie wir und andere uns sehen wollen. Was Instagram auf diversen Quotes am Tag in meinen Kanal spült und mir Influencer:innen mit gefakten, perfekt posierten Bildern erzählen wollen, die sie und ihren Körper ins richtige Licht setzen. 

Selbstliebe, Freunde, aber bitte ohne Dellen und Röllchen. Wenn sich dann aber doch mal eine traut, sich so zu zeigen, wie sie in Wahrheit aussieht, ist das Erste, was uns in den Kopf schießt, nicht: „Toll, wie mutig“, sondern „Oha, die hat ja auch hängende Brüste, sieht ja nicht so schön aus.“ Frei sind wir noch lange nicht. In unseren Köpfen nicht, in den Köpfen anderer auch nicht. Denn so ein Frauenkörper beschäftigt in der Realität sehr viele Menschen, die gar nicht in ihm drinstecken, vor allem im Sommer, wenn die dicken Winterjacken fallen. Und damit dieser Körper dann aber auch ja ansprechend für die Welt ist, legen sich viele von uns entweder ab Neujahr ins Zeug, um den sogenannten Bikinibody zu erreichen, oder sie trauen sich bis zum Herbst nicht in kurzen Klamotten vor die Tür, weil sie den nicht geschafft haben. 

Every Body is a Bikinibody – Ich fühl’s nicht

Mit den ersten warmen Sonnenstrahlen strahlen die Bikinimodels auf Plakaten um die Wette. Jedes Jahr im Sommer strahlt mich die Wahrheit aus dem Spiegel an. Ich probiere Bikinis und finde sie durchweg alle schrecklich. Das liegt auch an den Bikinis und auch an meinem Körper mit seinen Schönheitsfehlern. Zu wenig Brust, zu viel Bein, Hintern ist okay, hängt aber schon, Winkearme will niemand sehen und meine Haut leuchtet am Strand im strahlendsten Weiß, das selbst Weißer Riese vor Neid erblassen lässt. Probleme oder auch Problemzonen, die jede Frau kennt. Auf Instagram heißt es: Love yourself, Bikinis sind für alle da, stark übergewichtige Frauen sprechen von Bodypositivity, und ich? Ich fühl’s nicht. Was ich aber fühle, ist, dass mein Körper bewertet wird, von mir und von anderen. Immer und immer wieder. Vor allem im Sommer sind Frauenkörper höchst diskutabel: Die eine ist zu fett, die andere zu dürr, die trägt zu viel Schminke und mal ehrlich, also mit der Figur sollte man vielleicht keinen Mini tragen, überhaupt sieht man ja auch echt alles, die muss sich nicht wundern … Wow.  

Wir tun uns selbst weh und anderen

Es gibt keinen perfekten Körper. Es gibt keine, aber auch leider keine einzige Frau, die ich kenne, die sich richtig wohl in ihrer Haut fühlt. Und das wirklich Sadistische ist, wie wir uns gegenseitig kleinmachen und gehässig mit einem Seitenblick zumurmeln: Die ist aber fett, statt wohlwollend und solidarisch zu sein. Aber das sind wir einfach nicht gewohnt.

Lin Hierse schreibt in ihrer Kolumne bei der „taz“: „Sie haben fast alle Krieg gegen ihren Körper geführt: Rennen bis in die Ohnmacht, eine Zahnbürste im Rachen. Sie haben solche Angst, zu viel zu sein, dass genug unerreichbar wurde. Sie sind jetzt selbstbewusste Frauen und googeln trotzdem ‚how to lose weight fast‘. Keine wird plötzlich sanft, wenn der Krieg vorbei ist.“

Und sie hat Recht. Es sitzt so tief. Und zwar solange Frauen Angst haben, solange sich andere herausnehmen, Körper zu bewerten, die nicht ihre eigenen sind, solange wir das Gefühl haben, unser Körper gehöre nicht uns, sondern ist für jeden ein frei zugängliches Objekt, dem man hinterherpfeift, einen kessen Spruch drückt oder über dessen Makel man spricht. Und wie oft habe ich von Männern gehört: „Aber ihr Frauen wollt das doch so.“ Oder auch: „Ihr redet immer von Gleichstellung, wollt dann aber doch irgendwie anders behandelt werden.“ Genau daran zeigt sich, wie weit der Weg noch ist, der vor uns liegt. Von Gleichstellung sind wir noch sehr weit entfernt, weil das in unseren Frauenköpfen, auf unseren Frauenkörpern noch gar nicht richtig angekommen ist. Wir brauchen kein Bodypositivity. Was wir brauchen ist Neutralität, Realität und Diversität. Eine Nicht-Wertung. 

Was ich mir für meine Töchter wünsche …

… ist Freiheit im Kopf. Freiheit und echte Gleichberechtigung. Und Männer, die Feministen sind, statt sich angegriffen zu fühlen, die Frauen nicht mehr mit lüsternen Blicken ausziehen, die Catcalling nicht okay finden, die keine Sprüche und sexistische Witze machen, die sie ja gar nicht so meinen. Wir brauchen Eltern, die empathische Kinder großziehen, die sich trauen, Dinge zu verändern, statt Tradition weiter und weiter zu spielen. Ich wünsche mir für meine Töchter, dass sie in sich ruhen können, dass sie sich sicher fühlen, dass sie sicher sind. Ja, wir haben uns auf den Weg gemacht, aber das Ziel ist weiter weg als gedacht. Vielleicht rennen unsere Kinder ein wenig schneller als wir. Das wäre schön. 

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