„Zeit ist kein Luxus, sondern durch und durch politisch“, sagt die Journalistin Teresa Bücker. Nur leben wir hier in Deutschland mit Zeitarmut, die unsere Gesellschaft brüchig macht, ungerecht und wenig demokratisch. Es ist also Zeit – für ein radikales Umdenken.
Der Achtstunden-Arbeitstag ist mehr als 100 Jahre alt – und eigentlich wollten ihn Gewerkschaften schon viel früher abschaffen. Aber er ist immer noch da. Und auch wenn wir viel über flexible Arbeitszeitmodelle sprechen und uns die Pandemie das Arbeiten überdenken ließ, hat sich unser materieller Wohlstand in Deutschland nicht in Zeitwohlstand übersetzt und wir haben permanent das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben, aber: „Diese Kultur des Zeitdrucks ist eine gesellschaftliche Entscheidung und man kann sich dagegen wehren“, sagt die Autorin und Journalistin Teresa Bücker in der 395. Folge „heute wichtig“.
Eine neue Zeitpolitik für mehr demokratische Teilhabe
Teresa Bücker hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Alle_Zeit“. Es ist ein Plädoyer, radikal umzudenken, eine neue Zeitpolitik zu schaffen. Denn wir leben in einer Gesellschaft, in der nur wenige Zeit haben, sich neben der Arbeit politisch zu engagieren, teilzuhaben: „Das ist ein demokratisches Problem“, sagt Teresa Bücker. Auch entstehen denen, die in ihrer vermeintlich freien Zeit Fürsorgearbeit leisten, etwa, indem sie Angehörige pflegen, finanzielle Nachteile. Und nicht zuletzt bleibt in unserer Arbeitswelt in der Regel viel zu wenig freie Zeit für das Ich. Dabei ist „freie Zeit wichtig, um sich selbst zu entfalten“. Die Autorin sympathisiert deshalb mit dem Modell der Soziologin Frigga Haugg – „die Vier-in-einem-Perspektive“. Die Idee: Jeweils vier Stunden für Erwerbsarbeit, Fürsorgearbeit sowie Kultur und Politik.
Ungleichheit durch Zeitarmut: Zeit ist eine feministische Frage
Durch Zeitarmut entsteht Ungleichheit – und zwar vor allem zwischen Mann und Frau. Teresa Bücker ist auch eine der bekanntesten Feministinnen des Landes, ihr Buch zugleich ein feministisches Plädoyer. Studien der Erziehungswissenschaftlerin Ingrid Westlund zeigen, dass Kinder erst dann im erwachsenen Zeitempfinden ankommen, wenn sie Zeit als Mangel wahrnehmen. Und Mädchen begreifen diesen Mangel viel früher: „Das hat mich wirklich überrascht“, sagt Teresa Bücker im Podcast. Es ist wohl die Realität ihrer Mütter, die abfärbt auf junge Mädchen, denn: „Mütter arbeiten an einem Tag durchschnittlich länger als Männer, weil sie häufig die berufliche Arbeit und die Arbeit zu Hause kombinieren. Dadurch haben Frauen und Mütter höhere Stresslevel als Männer.“
Die wenigsten Paare, nur knapp vier Prozent in Deutschland, arbeiten laut Teresa Bücker beide in Teilzeit und teilen sich die Fürsorgearbeit. Das häufigste Modell bleibe das so genannte „modernisierte Ernährermodell“, in dem Männer Vollzeit arbeiten und Frauen Teilzeit. Dadurch haben diese im Schnitt weniger Geld zur Verfügung und rutschen leichter in die Altersarmut. Und obwohl wir uns als sehr modernes Land verstehen, „ist das ein Aspekt, wo wir in der Gleichberechtigung noch nicht so weit sind, und uns aber dringend darum kümmern sollten.“
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