Gleiches Geld für gleiche Arbeit – Erste Schritte im Osten

In Ostdeutschland müssen viele Beschäftigte immer noch länger arbeiten als im Westen. VW macht damit nun schrittweise Schluss – andere müssen warten, eine Gesamtlösung gibt es weiterhin nicht.

Über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sollen VW-Beschäftigte in Sachsen schrittweise die gleichen Arbeitsbedingungen wie im Westen bekommen. Für viele andere Betriebe gibt es jedoch weiterhin keine flächendeckende Anpassung.

Bis 2027 soll die Wochenarbeitszeit bei Volkswagen in Zwickau, Chemnitz und Dresden von 38 auf 35 Stunden sinken, wie der Konzern am Mittwoch ankündigte. Beim Flächentarif der Metall- und Elektrobranche ist das noch nicht in Sicht, zum Tarifabschluss in Sachsen gelang der IG Metall kurz zuvor keine Ost-West-Angleichung. Die Arbeitgeber sagten aber weitere Gespräche zu. Dabei soll eine Regelung gefunden werden, die auf Betriebsebene Schritte in Richtung West-Niveau macht.

VW holt seine drei sächsischen Standorte in den kommenden Jahren auch unter das Dach der aus Wolfsburg gesteuerten AG. Die rund 10.000 Beschäftigten der Tochter Volkswagen Sachsen GmbH profitieren damit von einem Wechsel aus dem Flächentarifvertrag der Metallbranche in den VW-Haustarifvertrag. 2022 geht es mit einer Reduktion auf 37 Arbeitsstunden pro Woche los, 2024 und 2026 sinkt die Stundenzahl weiter. 2027 soll die Verschmelzung mit der AG vollzogen sein.

Der sächsische VW-Betriebsratschef Jens Rothe zeigte sich zufrieden: «Mehr als 30 Jahre nach der Wende ist dieser Schritt überfällig.» Die neue Konzernbetriebsratschefin Daniela Cavallo äußerte sich ähnlich, gesellschaftspolitisch sei die Integration geboten. Personalvorstand Gunnar Kilian sprach vom «Schließen der Tariflücke». Altersvorsorge- und Urlaubsregelungen sollen demnächst ebenfalls angepasst werden.

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) sagte: «Volkswagen geht bewusst einen anderen Weg als andere westdeutsche Unternehmen, die ihre Werke im Osten weiter als verlängerte Werkbänke behandeln und zum Teil sogar schließen.» Er wünsche sich mehr Anstrengungen auch von anderen Firmen, für betriebliche Lösungen ihrer Standorte im Osten endlich auch die Verantwortung zu übernehmen und diese nicht mehr als ihren Reservekanister zu benutzen. Am Donnerstag forderte er in Dresden: «Es muss endlich Schluss sein mit den Ungerechtigkeiten, dass man den Osten immer noch als Billiglohnstandort ansieht, wo nicht die gleichen Spielregeln gelten sollen wie in Westdeutschland.»

Für VW spielen die sächsischen Standorte inzwischen eine zentrale Rolle. Zwickau bildete mit dem Produktionsstart der Elektromodelle ID.3 und ID.4 eine Art Vorhut beim Konzernumbau. Die Fabrik wurde als erste auf großangelegte E-Fertigung umgestellt, in den nächsten Jahren folgen Emden und Hannover sowie Werke in China und in den USA.

In den Wende-Jahren 1989 und 1990 war VW in die traditionsreiche Autoproduktion der Region eingestiegen. In Sachsen liegen etwa die Wurzeln der heutigen Oberklasse-Tochter Audi, in der DDR entstand dort im VEB Sachsenring auch der Trabant. Zunächst beteiligte sich VW an einem Joint Venture für Komponenten in Lizenzfertigung. Ab den 1990er Jahren wurden dann Modelle wie der Polo oder Golf gebaut.

Kernmarken-Chef Ralf Brandstätter sagte, «standortbezogene Kompensationsmaßnahmen» sollten die Mehrkosten durch die Arbeitszeitverkürzung auffangen. Gleichzeitig solle die Produktivität um fast ein Drittel steigen. Die Rede ist von «Flexibilisierung beim Mitarbeitereinsatz, Neuausrichtung der Fertigungsorganisation sowie konsequenten Kostensenkungen durch Synergien mit den Strukturen und Prozessen der Volkswagen AG». Konkrete Ansätze hierfür dürften nach Informationen aus Konzernkreisen zum Beispiel die Nutzung flexibler Arbeitszeitkonten je nach Auftragsvolumen, der Umbau von Schichten und Einsparungen durch weniger Verwaltungsaufwand in Sachsen sein.

Die Beschäftigten im Flächentarif der Metall- und Elektroindustrie im Osten müssen vorerst weiter länger für ihr Geld arbeiten als die Kollegen im Westen. Der NRW-Pilotabschluss wird ansonsten übernommen. Nach der Einigung vom Dienstagabend erhalten die Beschäftigten dementsprechend eine Corona-Prämie von 500 Euro in diesem Jahr sowie dauerhafte Sonderzahlungen vom kommenden Jahr an. Die Sonderzahlung wird erstmals im Februar 2022 in Höhe von 18,4 Prozent eines Monatsentgelts fällig. Zum Februar 2023 steigt diese Sonderzahlung auf 27,6 Prozent des Monatsentgelts und wird dann jährlich gezahlt.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten kämpft die IG Metall für die 35-Stunden-Woche im Osten. Auch diesmal wurde das Verhandlungsziel im Bezirk Berlin, Brandenburg, Sachsen trotz zahlreicher Warnstreiks jedoch verfehlt. Nun soll es in Betriebsvereinbarungen erreicht werden. «Die Fläche setzen wir dann auf diese Weise zusammen», sagte die IG-Metall-Bezirksleiterin Birgit Dietze. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall begrüßte die Einigung: «Nun ist der Weg für die von den Arbeitgebern immer geforderten betrieblichen Lösungen innerhalb des Flächentarifvertrages durch freiwillige Betriebsvereinbarungen und eben nicht durch Haustarifverträge vorgegeben.»

In Sachsen beschäftigt die Branche mehr als 180.000 Menschen. Dem tarifschließenden Arbeitgeberverband gehören nach dessen Angaben aber nur Unternehmen mit insgesamt 25.000 Beschäftigten an. Offen ist die Tarifrunde jetzt nur noch im Tarifbezirk Berlin-Brandenburg.

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