Jeder, der mal James Joyce gelesen hat, weiß, dass für diesen Schriftsteller Zürich ein Rückzugsort war (in kriegerischen Zeiten), dass er 1941 dort starb und begraben liegt (Friedhof Fluntern). Jeder Joyce-Leser, der mal in Zürich war, weiß, dass der Mann ganz gern im Restaurant „Kronenhalle“ aß. Jeder, der mal dort war, weiß, dass die „Kronenhalle“ sehr gute Rösti brät. Nicht wenige Joycianer werden im Verzehr dieses formal einer Oblate ähnelnden Kartoffelkuchens in Kommunion mit ihrem Idol getreten sein (in Ironie, versteht sich), wobei sie schon beim Betreten des Lokals die Worte gemurmelt haben mögen, die die ersten gesprochenen in dem Roman „Ulysses“ sind: „Introibo ad altare Dei“. Es ist die Eröffnungsformel der lateinischen Messe der katholischen Kirche, es sind die Worte, mit denen der Priester an den Altar Gottes tritt. Umgehend war der „Ulysses“ verrufen, wer das Manuskript verlegen oder drucken wollte, dem drohte Haft, Teile des Buches wurden in den USA verbrannt. Lange standen bei mir Rösti auf dem Index der nicht bewältigten Gerichte, genau wie sein dicker Vetter, der Kartoffelpuffer. Ich hatte regelrecht Angst vor ihnen. Zwar fand ich sie – so sie denn gut waren – superlecker, aber zu Hause bekam ich sie nicht hin, obwohl sie doch noch einfache Bauernküche darstellten. Beim letzten Versuch hatte ich für einige Tage nicht allein die Küche, sondern gleich die ganze Wohnung lüften müssen und mir schweren Ärger mit der Betriebsaufsicht eingehandelt, die scharf darüber wacht, dass ich die Bude nicht unter Fettdunst setze.
Das Geheimnis gut zubereiteter Bauernküche liegt ja in der routinierten Hausarbeit. Wohingegen postmoderne Schnöselköche (so wie ich) mit ihrem zwar in heiligem Ernst betriebenen, aber auf Neuigkeiten ausgerichteten und den steten Kitzel suchenden Feldforschungsansatz selbst an solchen Zubereitungen scheitern, die früher jede Milchmagd mit geschlossenen Augen und mit linker Hand bewältigt hätte. Wir scheitern, weil uns die Routine fehlt.
Inzwischen habe ich mich zumindest an die Rösti gewagt, obwohl die die schwierigeren zu sein scheinen, da ihnen die Bindung fehlt (keine Eier). Vor einem Jahr gab mir der so herrlich lässig kugelrunde Koch Vincent Klink den Tipp zur Behebung dieses scheinbaren Mankos. Klink ist trotz seines Michelin-Sterns ein schwäbischer Volkskoch und bespielt neben seiner „Wielandshöhe“ in Stuttgart ab und an auch die Fernsehküche der Sendung „ARD-Buffet“.
Ein Tipp vom Praktiker
Er riet mir, die geraffelten Kartoffeln mit Stärkemehl zu überpudern, um so zu verhindern, dass allzu viel Kartoffelfeuchtigkeit die Eiweißbestandteile der Knollen am Verpappen hindert. „Und dann“, fügte er an, „dann geben Sie den Rösti Zeit“. Mit Zeit binde die Masse und werde auch ohne Ei kross. Mir ist schleierhaft, wie es die Kronenhallenköche schaffen, eine um die andere Portion Rösti rauszuhauen und dabei ihr Zeitmanagement zu wahren. Ich bekomme in mehreren kleinen Pfännchen stets nur ein paar der Dinger hin.
Aber immerhin, ich schaffe es. Zahlreiche Versuche mit verschiedenen Zubereitungen haben mir inzwischen die Angst genommen. Sie gelingen mit rohen wie mit gegarten Kartoffeln. Die wichtigste Zutat ist tatsächlich immateriell, die Zeit.
Bei der Verwendung roher Kartoffeln sind diese zunächst mal zu entfeuchten. Dafür jage ich sie nach dem Schälen durch eine Raffel. Das Resultat sind kurze Strähnen von 2-3 mm Breite und ca. 1 cm Länge. Die packe ich nun mit der Hand und drücke sie sorgsam aus. Erstaunlich, wie viel Flüssigkeit da zusammenkommt. Die deutlich trockeneren Strähnchen gebe ich in eine Schüssel und füge 1 gestrichenen EL trockene Kartoffelstärke zu, die ich mit der Hand in die Masse einarbeite.
Das Verhältnis ist schwer zu bestimmen, je mehr Kartoffelmasse, desto mehr auch der Stärke. Die Masse ist am Ende in einem Zustand zwischen trocken und matschig. Ich salze leicht und pfeffere und heize dann mein Pfännchen mittelstark ein. Es ist beschichtet, und ich rühre es nie anders als mit hölzernen Küchengabeln an.
Ich gebe etwas Fett ins Pfännchen – Butterfett oder Gänse- bzw. Entenschmalz sind mir die liebsten – und gebe 1 gehäuften EL der Kartoffelmasse dazu. Wichtig jetzt, sagt der Klink: „Die Masse nicht platt drücken, sondern sie locker lassen, sie sinkt beim Braten ohnehin leicht in sich zusammen.“ Die Masse soll die Pfanne knapp ausfüllen, nicht mehr. Nur wenn man nicht presst, wird der Kuchen außen knusprig und bleibt von innen locker. Auch nicht herumfuhrwerken in der Masse mit der Gabel.
Ich brate sie also bei allenfalls mittelstarker Hitze (eher weniger), bis sie am äußeren Randgoldene Stellen zeigt, der Bratvorgang leise knistert und der entstehende Kuchen beim Rütteln der Pfanne raschelig resoniert. Dann lasse ich das Teil sanft auf einen Deckel gleiten, stülpe die Pfanne koppheister darüber und drehe wieder um, sodass die rohe Seite nun zuunterst liegt. So brate ich die Rösti zur Vollendung.
Ich habe mit festen wie auch mit mehlig kochenden Kartoffeln gearbeitet, habe der rohen Masse auch geraffelte speckige gekochte Kartoffel zugesetzt (die ich nicht auszudrücken brauche) und Rösti auch mit ausschließlich gekocht geraffelten Pellkartoffeln hingekriegt. Alles funktioniert, solange man der Masse nur ca. 20 Minuten Zeit gibt – dann verkleistern sich die äußeren Kartoffelpartien in der milden Hitze des Bratfetts in der von Louis C. Maillard beschriebenen und nach ihm benannten Reaktion zu einer goldenen Kruste.
Inzwischen weiß ich auch Speckwürfel oder Schnittlauchröllchen mitzubraten. Gern esse ich meine Rösti mit Schmand und Räucherlachs. Ob James Joyce sie je so aß? Ich muss im „Ulysses“ noch mal das Lästrygonen-Kapitel lesen. Die Rezepte zum Nachkochen finden Sie
Posts aus derselben Kategorie:
- Deutscher Komiker: Leben von der Hand in den Mund: Helge Schneider über Armut
- „heute wichtig“: Der Öko-Bischof: Ein Halleluja für den Umweltschutz
- 90er Pop: „Mr. President“: Was macht Sängerin T-Seven eigentlich heute?
- Italienischer Tenor: Der große Tröster – Andrea Bocelli wird 65
- Überfüllte Container: Die Deutschen räumen die Schränke aus: Rotes Kreuz kann sich vor Altkleider-Spenden kaum retten