Wie sind Sie Pflanzenarzt geworden?
Ich habe Gärtner gelernt, ganz klassisch. In Wolfenbüttel. Als Lehrling habe ich mich gefreut, als ich das erste Mal den Schutzanzug anziehen durfte und die Giftspritze in die Hand bekam. Ich habe Insektengift gespritzt und nie darüber nachgedacht, ob das schädlich ist. Dann habe ich ein Gartencenter übernommen. Mit all den Pflanzenschutzmitteln, die von der Industrie angeboten werden. Aber irgendwann habe ich angefangen, Fragen zu stellen.
Heute nennen Sie sich selbst „Pflanzenarzt“ und haben den Begriff sogar schützen lassen. Warum?
Damit ich nicht mit den sogenannten Pflanzendoktoren aus den Baumärkten verwechselt werde. Ich berate unabhängig. Ich bin frei von Industrie- und Verkaufsinteressen. Wenn es gewünscht wird, mache ich auch Hausbesuche.
Was erleben Sie dabei?
Ich komme zu der Dame, die eine Orchidee für 3,99 Euro im Supermarkt gekauft hat. Die Pflanze hat Wollläuse in Massen. Das lässt sich mit Orangenöl kurieren. Die Dame hängt an der Blume. Also helfe ich ihr. Genau so wie dem Villenbesitzer, der hat ein Formgehölz für 6000 Euro gekauft, das Pilzbefall hat, und droht, kaputt zu gehen.
Können Sie immer helfen?
In 99 Prozent der Fälle.
In welchem Fall nicht?
Ein Hausbesitzer bestellte mich zu sich, zeigte mir die Rotbuche des Nachbarn, deren Äste in seinen Garten ragten, und fragte: Wie bringe ich den am besten um?
Raten Sie manchmal zum Fällen?
Wenn ein Baum unheilbar krank ist oder schon abgestorben, rate ich natürlich zum Fällen. Ein Gärtner braucht manchmal ein hartes Herz und eine scharfe Säge.
Was kostet ein Hausbesuch?
Bei mir gibt es Kassenpatienten und Privatpatienten. Kassenpatienten kommen in meine Sprechstunde, bringen die Patienten mit und ich schau’ mir die an. Das kostet nichts. Ein Hausbesuch kostet 150 Euro. Wenn ich weit fahren muss, berechne ich noch die Anfahrt. Vor kurzem war ich in Bremen. Die Kundin sagt: Mein Mann hat eine Dauerkarte für den Fußballverein und ich gönne mir den Pflanzenarzt.
Was war Ihr Befund?
Eine Esche war unrettbar krank, die großen, alten Hortensien brauchten dringend Dünger. Das sind Moorbeetpflanzen, die brauchen sauren Boden. Ich konnte eine Tuja retten, die zu trocken stand. Ich nahm drei Wasserflaschen, bohrte kleine Löcher in die Schraubverschlüsse und steckte sie umgekehrt in den Boden.
Als Infusion.
Ja. Die Flaschen müssen regelmäßig nachgefüllt werden, es kommen noch ein paar Nährstoffe dazu, und die Tuja kommt zurück ins Leben.
Warum beraten die Pflanzendoktoren in den Großmärkten oft so schlecht?
Ich muss meine Kollegen ein wenig in Schutz nehmen. Die haben oft richtig Stress. Die Kundschaft hat eine Menge Fragen, dahinter stehen schon die nächsten in der Schlange, eine Warenlieferung muss dringend ausgepackt werden. Es fehlt einfach die Zeit. Das müsste sich ändern.
Aber es gibt auch jene, die immer zum Gift raten?
Ja. Leider.
Braucht der Hobbygärtner überhaupt Chemie in seinem Garten?
Meine Überzeugung ist: nein. In Frankreich ist chemischer Pflanzenschutz im Haus- und Kleingarten schon heute verboten. Das wird auch bei uns bald so sein.
Aber geht es wirklich immer ganz ohne?
Ja, im Hobbygarten in jeden Fall. Kleingärtner brauchen das nicht.
25-Der Wald leidet unter Hitze und Trockenheit-6063922686001
Greifen eher die Jungen oder die Alten zum Gift?
Früher waren es die Älteren, die Gift wollten. Hauptsache es wirkt schnell. Heute spielen die Enkel im Garten, und denen darf bloß nichts passieren.
Gibt es ein Stadt-Land-Gefälle?
In den Neubaugebieten rund um die großen Städte wird noch sehr gern zum Gift gegriffen. Beide arbeiten, das Haus muss abbezahlt werden, da haben sie keine Zeit für den Garten und sagen: Ich brauch Glyphosat, damit spritz ich alles weg und habe meine Ruhe.
Was sagen Sie denen?
Kauft euch besser eine Eigentumswohnung ohne Garten.
In Ihrem Garten hängen Raupen an den Kohlköpfen, im Rasen wächst der Löwenzahn. Warum ist Ihr Garten überhaupt nicht perfekt?
Das ist ganz wichtig so. Ich habe Kinder, die spielen im Garten. Die brauchen wilde Ecken, wo sie Ameisen beobachten oder Raupen fangen können. Wir lassen Unkräuter an manchen Stellen stehen, da ziehen Nützlinge ein. Unser Garten ist lebendig, nicht steril.
Sie ermuntern dazu, auch mal die Brennnesseln wuchern zu lassen?
Wenn mir einer seinen Rasen zeigt und klagt: Schauen Sie, ich habe zu viele Unkräuter drin! – dann sage ich: Das ist Artenvielfalt. Lassen Sie es stehen.
Ihr Nachbar hat einen perfekten Rasen. Nicht ein Gänseblümchen…
Ich habe nichts dagegen. Aber ich mag meine Gänseblümchen im Gras lieber.
Das klingt sehr entspannt.
Nur so macht ein Garten Spaß. Man muss im Garten genug Zeit haben, um zu chillen. Wer das nicht kann, sollte den Garten abschaffen oder alles wachsen lassen.
Dann rufen die Nachbarn die Polizei, weil bei Ihnen die Mauswiesel Samba tanzen.
Ältere sagen mir: Ich muss meinen Garten jetzt seniorengerecht gestalten, also Schottergarten oder Mähroboter, der immer alles kurz und klein hält. Ich finde: Die dürfen ihre Gärten gern verwildern lassen. Das wäre doch schön. Oder?
Zur Person:
René Wadas, 49, ist Gärtnermeister. Er lebt mit seiner Familie in Börßum bei Braunschweig. Seine Bücher für Hobbygärtner sind Bestseller. Neu im Buchhandel: René Wadas, Der Pflanzenarzt – Mein großes Praxisbuch für Garten und Balkon, Rowohlt-Verlag, 12 Euro
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