Nach dem Spuk von Thüringen: Die CDU steckt in einer Falle, die ihr stärker zusetzt und sie mehr zersetzt als bislang vermutet

Ohne Not hat ein kleiner Landesverband das bürgerliche Lager in eine Krise gestürzt, die die Republik zwar nicht so in den Grundfesten erschüttert, wie es das Geschrei über den „Epochen-„, „Kultur-“ oder gar „Zivilisationsbruch“ vermuten lässt (man sollte Empörung ja immer noch steigern können). Aber der Schaden ist da, ein völlig überflüssiger zumal, und es ist unklar, wie groß und nachhaltig er ist – auch nach dem Beschluss der Thüringer CDU, ohne Neuwahlen Bodo Ramelow den Weg frei zu machen. Der Hang zur Selbstzerstörung war bisher eine Spezialität der SPD, nun hat er Teile der FDP und CDU erreicht.

Eine wichtige Frage wurde noch nicht laut genug gestellt, geschweige denn beantwortet: Was bitteschön ist in Thüringen passiert, dass die Bundesparteien von CDU und FDP offenkundig die Kontrolle über ihre Landesverbände verloren haben?

Eine neue Stufe im Auflösungsprozess

Seit einiger Zeit reden wir ja über Entfremdungsprozesse im Osten, über Gräben und Abgehängte. Aber hier ging es ja nicht um Wähler, Mitglieder oder Lokalpolitiker, hier brodelte nicht nur die berühmte Basis – CDU und FDP haben ihre Funktionsträger nicht mehr steuern können. Das ist eine neue Stufe in einem Auflösungsprozess, den wir seit einiger Zeit zu erfassen versuchen.  

Fangen wir mit dem Offensichtlichen an:  

  • Björn Höcke darf man nicht die Hand schütteln, auch unter anderen Umständen nicht.
  • Wenn es ein Unfall war, hätte man ihn sofort korrigieren müssen.
  • Wenn es ein Coup war, war er verantwortungslos (abgesehen davon: Das bürgerliche Lager mag keine Coups, sondern geordnete Verhältnisse, demokratische Gepflogenheiten und staatspolitische Verantwortung, deshalb ist das Entsetzen dort auch so groß). 
  • Wenn es eine Strategie war, war sie dumm und nicht zu Ende gedacht.
  • Der Rücktritt von Thomas Kemmerich war zwingend, ist aber nicht überzeugend.

Aber war das nicht einfach Demokratie, wie es nun hier und da heißt? Formal natürlich, aber das bedeutet nicht, dass Ergebnisse der Demokratie nicht empören können. Entweder, weil das Ergebnis uns fragwürdig oder falsch erscheint (der Freispruch Donald Trumps im Impeachment-Verfahren war auch Demokratie). Oder weil wir gewisse Spielregeln – man könnte auch sagen: Regeln des Anstands, wie man vorgeht, was man tut und nicht – als verletzt aussehen. Und das ist hier ja offenkundig. Der politische Kampf gegen die Minderheitsregierung von Bodo Ramelow kann ab Tag zwei losgehen.

Die CDU steckt in einer strategischen Falle

Nach dem Spuk von Erfurt bleibt eine Ahnung, die davor schon im Raum stand, aber nun deutlicher hervortritt: dass die CDU in einer strategischen Falle steckt, die ihr stärker zusetzt und sie mehr zersetzt, als wir es bisher vermutet haben. Wenn sich rechts von der Partei die AfD breit und breiter macht, wird die CDU in immer neue Koalitionen links der Mitte gedrängt.

Anfangs war das nur die ungeliebte Große Koalition, dann Bündnisse mit den Grünen, wahlweise mit SPD und FDP im Gespann. Erstmals sollte die CDU nun noch weiter gehen und das Undenkbare tun: eine lose, projektbezogene Kooperation mit der Linkspartei – weil die Alternative rechts eben noch undenkbarer ist.

Dieser Dehnungsprozess hat diese Woche in einer Kurzschluss-, Trotz- oder Panikreaktion geendet (die FDP war nur der Idiot in diesem Spiel). Die Perspektive der Union, nur Koalitionen nach links bis hin zur Linkspartei bilden zu können (die eine extreme Partei ist und bleibt, und mit der bürgerliche Parteien aus gutem Grund keine Bündnisse eingehen wollen), führt auf Dauer zu einem Kräfteverschleiß und einer Entkernung – immer mehr politische Gestaltungskraft wird für die Abwehrschlacht gebunden.

Die CDU ist länger an der Macht, regiert aber weniger

Man beobachtet das seit Jahren in der Großen Koalition in Berlin, in der vor allem die SPD Herzensprojekte durchsetzt und die CDU nicht einmal die Energie aufbringt, den Soli ganz abzuschaffen oder die Unternehmenssteuern zu reformieren. Sie ist immer länger an der Macht, aber regiert immer weniger. Neben dieser Dehnung nach links gibt es die Spaltung zwischen Ost und West, derer wir uns zwar auch bewusst waren – die diese Woche jedoch eine neue Qualität erreicht hat.

Die SPD hat rund 20 Jahre gebraucht, ihr Verhältnis zur Linkspartei zu klären, zu testen, zu überwinden – vom „Magdeburger Modell“ 1994 bis zum Eintritt als Juniorpartner in die Koalition unter Bodo Ramelow. Die Sozialdemokraten haben noch 2013 rechnerische Mehrheiten nicht genutzt, weil die Linke auf Bundesebene als nicht koalitionsfähig galt (was sie, das muss man festhalten, immer noch nicht ist, weil sie in Teilen eine extreme Partei ist).

Die Einbindung der AfD aber bleibt bis auf absehbare Zeit die größte Unmöglichkeit des deutschen Parteiensystems. Sie hat von allen Parteien Wähler angezogen – im Osten gerade auch von der Linkspartei -, ihre Zerstörungskraft reicht weiter als Wahlergebnisse und Wählerwanderungen. Während die FDP sich in Thüringen innerhalb von 24 Stunden versenkt hat, triumphiert die AfD einmal mehr, und das Foto eines sich verbeugenden Björn Höcke bleibt als jüngerer Tiefpunkt des deutschen Liberalismus im Gedächtnis.

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