Instagram-Chef Justin Osofsky: „Mit 10.000 Followern braucht man ein anderes Instagram als mit einer Millionen“

Instagram, das ist für immer mehr Menschen Vorbild, Inspirations- und Informationsquelle. Doch darauf war die Foto-App am Anfang nicht ausgelegt. Im Gespräch erklärt der Instagram-Chef Justin Osofsky, wie sich das soziale Netzwerk verändert hat. Und wie man sich der gestiegenen Verantwortung stellen will.

Instagram hat als Foto-App angefangen, seitdem hat es sich drastisch verändert, Live-Streams, Videos und so weiter hinzugefügt. Wie würden Sie Instagram heute nennen?

Instagram als Plattform will dich mit Menschen und Dingen zusammenzubringen, die du liebst. Vom Kern, von den Werten ist Instagram meiner Ansicht nach das gleiche Unternehmen wie früher. Da sich die Bedürfnisse der Nutzer immer weiterentwickeln, müssen wir uns immer neu ausrichten und neu priorisieren, was wir als nächstes entwickeln. So ändert sich beispielsweise die Art und Weise, wie Menschen sich durch Videos ausdrücken wollen, ob es nun Kurzvideos als Reels sind oder ob es darum geht, mit Freunden live zu gehen oder mit Creatorn zusammenzuarbeiten.

Ist auch Instagrams immer größere Shopping-Funktion ein Wunsch der Nutzer?

Auf Instagram gab es von Anfang an ein Interesse, sich mit Marken und Unternehmen zu verbinden, einzukaufen. 90 Prozent der Menschen auf Instagram folgen Unternehmen. Die Rolle, die Creator beim Shopping spielen, dabei wie man Trends findet und Dinge, die man kaufen möchte oder die einen inspirieren, sind nicht zu unterschätzen.

Wenn Sie jetzt zwischen Menschen und Creatorn unterscheiden, was ist für Sie der Unterschied?

Creator sind für mich Leute, die ihren Lebensunterhalt auf der Plattform verdienen wollen. Das kann auf ganz unterschiedliche Weise geschehen. Was Instagram für eine Rollerskaterin wie Oumi Janta aus Berlin ist, unterscheidet sich grundlegend von dem, wofür ein Koch oder ein Restaurant Instagram nutzt. Wir versuchen, Tools zu entwickeln, die den verschiedenen Bedürfnissen gerecht werden. Einige dieser Creator wollen beispielsweise live gehen, manche wollen Kurzvideos machen, andere wollen Merch vertreiben. Wir bieten ihnen verschiedene Monetarisierungs-Produkte dafür. Jemand der 10.000 Follower hat, benötigt ein anderes Produkt, als einer mit 10 Millionen Followern.

Aber Sie trennen ganz klar zwischen den Nutzern und den Creatorn.

Wir wollen Menschen helfen, das zu finden, was ihre Leidenschaft weckt. Die Frage ist: Wie schlägt man die Brücke vom globalen Interesse zum Nischeninteresse? Man kann einem weltweit bekannten Koch wie Emeril Lagasse folgen, der Hunderte von Tausenden von Followern hat. Auch mich. Auf der anderen Seite folge ich aber auch diesem wunderbaren Barbecue-Restaurant bei mir in der Nähe. Der Koch fängt gerade erst an und ist noch wirklich unbekannt. Und man kann sowohl globale Trends als auch Nischenthemen  auf die gleiche, tiefe Art und Weise verfolgen.PAID STERN 2020_26 Aschenputtel 7.40

Sie betonen dabei weniger Nutzer, sondern Themenfelder. Meiner Meinung nach sendet Instagram sehr unterschiedliche Signale. Auf der einen Seite geht es sehr um Broadcasting und darum, dass ein Creator mit einem breiten Publikum spricht. Auf der anderen Seite geht es um eine sehr persönliche Verbindung wie Chats. Wie passt das zusammen?

Was alles vereint, ist das Bedürfnis, sich auszudrücken. Das ist der Kern von Instagram. Und es kann ganz unterschiedlich aussehen. Ein Beispiel: Gestern gab Drew Brees, ein berühmter Quarterback der New Orleans Saints, seinen Rücktritt bekannt. Mit seinen vier Kindern in einem Video auf Instagram. Ich sehe das als eine Möglichkeit, authentisch, menschlich und kreativ diesen bedeutungsvollen Lebensmoment zu kommunizieren. In anderen Bereichen der Plattform geht es weniger um das Broadcasting, sondern mehr um Interaktion. Auch wenn man live geht, gibt es sicherlich eine Broadcast-Komponente, aber man sieht auch oft sehr interessante Interaktionen in den Kommentaren. Das bauen wir nach und nach aus. Etwa um die Möglichkeit Dinge innerhalb eines Lives zu verkaufen und verschiedene Produkte zu taggen.

In meiner Wahrnehmung nutzen die meisten Menschen Instagram, um in gewisser Weise zu konsumieren, aber auch, um sich mit anderen zu verbinden, um in Kontakt zu bleiben. Ist dieser Fokus auf den Broadcasting-Aspekt, auf ganze Themen-Gebiete, ist das etwas, das man aus der Nutzung herauslesen kann?

Bei der Weiterentwicklung ist das Nutzer-Feedback ein ganz entscheidender Faktor für uns. Als wir Live gestartet haben, meldeten die Nutzer schnell zurück, dass sie mit mehreren Leuten live gehen wollen. Also haben wir letzte Woche Live Rooms eingeführt, hier können vier Menschen gleichzeitig live gehen . Als sich COVID zu verbreiten begann, war schnell klar, dass wir unsere Produkt-Roadmap neu priorisieren mussten und vor allem kleine und mittelständische Unternehmen mehr unterstützen sollten. So entstanden Features wie Stories-Sticker, mit denen man spenden kann, mit denen man Essen verschicken und bestellen kann. Wenn sich die Welt nicht derart verändert hätte, hätten wir das wohl nicht so priorisiert. Bei der Entwicklung von Produkten geht es um die Kombination von Zuhören, Innovation und dem Bereitstellen von Erfahrungen, die dann auf der Grundlage dessen weiterentwickelt werden, was funktioniert und was nicht.

Gehört es auch dazu, zu schauen, was die Konkurrenten machen, und zu versuchen, diese Funktionen zu integrieren? Das wird Instagram immer wieder vorgeworfen, etwa in Bezug auf Tiktok.

Wir befinden uns in einem sehr starken Wettbewerb, und man kann breite Trends erkennen. Allerdings kann man innerhalb dieser Trends ganz unterschiedliche Erfahrungen anbieten. Klar ist, dass Kurzvideos ein Bereich sind, der sich gerade durchsetzt. Für uns ist es daher eine einzigartige Produkt-Herausforderung und Chance, ein großartiges Short-Form-Video-Erlebnis für die Instagram-Community zu schaffen.

Aktuell ist Clubhouse in aller Munde.

Bei Audio ist es sehr ähnlich. Audio ist ein weites Feld. Es gibts Podcasts, man trifft Menschen an digitalen Orten, um miteinander zu sprechen. Unser Ziel ist es, zu antizipieren, wie sich die Welt in den nächsten Monaten, in ein paar Jahren entwickeln könnte, um so die verschiedenen Bedürfnisse zu erfüllen. 

Das ist also ein Bereich, an dem Sie arbeiten

Wir haben Audio als allgemeinen Bereich absolut ins Auge gefasst. Aber  wir wollen, dass es einzigartig ist und perfekt zur Instagram Erfahrung passt. Dabei muss man etwa beachten, dass Instagram eine sehr visuelle Plattform ist. Aber Audio kann auch für visuelle Produkte wie Reels wichtig sein. 

„Wir wollen den Druck herausnehmen“

Mit dem Erscheinen von Prominenten und Influencern hat sich Instagram verändert. Die Menschen vergleichen sich immer mehr mit diesen auf Image ausgerichteten Idealbildern. Ist das eine gesunde Einstellung?

Es ist unsere größte Priorität, dass Instagram ein sicherer und unterstützender Ort ist und bleibt. Wir wollen, dass die Nutzer Kontrolle über ihre Erfahrung auf der Plattform haben und nehmen ihre Art die Plattform zu nutzen ernst. Dasselbe gilt für ihre Probleme. Das beschäftigt mich immer wieder: Wie schafft man eine Nutzererfahrung, bei der sich die Menschen authentisch und auf ihre eigene Weise ausdrücken können? Und in der man trotzdem den Druck der sozialen Medien, sowohl auf Instagram als auch an anderen Orten, reduzieren kann.

Und auf welche Weise versucht Instagram das zu erreichen?

Wir bieten mehrere Ansätze. Nutzer können melden, wenn sie sich irgendwo nicht unterstützt oder sicher fühlten. Unsere Teams schauen sich das an und ergreifen entsprechende Maßnahmen. Zudem versuchen wir, direkt durch die Produkte, die richtigen Verhaltensweisen zu fördern. Mit Anreizen in der Funktionsweise kann man die Menschen zum Nachdenken bringen, bevor sie etwas tun. Sei es die Art und Weise, wie wir mit Menschen umgehen oder warum wir uns so verhalten. Das ist einer der Gründe, warum wir bei Verstößen gegen unsere Community-Richtlinien den Kontakt suchen und erklären, was genau das Problem ist. Die Nutzer sollen die Regeln der Plattform verstehen. Auch, wie wir die Plattform für alle sicher halten.

Viele Studien zeigen, dass es eine negative Korrelation zwischen bestimmten Nutzungen von Instagram gibt, besonders bei Teenagern, weil sie, wie Sie sagten, versuchen, ein Idealbild von sich selbst zu präsentieren. Glauben Sie, dass Sie diese Diskrepanz zwischen dem, was die Leute von anderen auf Instagram sehen und wie sie sich selbst fühlen, ausreichend ansprechen?

Wir wollen den Druck herausnehmen, auf Instagram perfekt zu wirken und denken viel darüber nach, wie wir diesen reduzieren können. Daher versuchen wir Instagram für verschiedene Arten der Nutzung und unterschiedliche Bedürfnisse zu gestalten. Ein Teil davon sind Stories. Stories sind flüchtig, sie verschwinden nach 24 Stunden, sie sind tendenziell eher ungeschliffen.  Es ist übrigens auch bemerkenswert, dass es Gegentrends gibt. Sei es die Bewegung um Body Positivity, die Black-Lives-Matter-Bewegung, die LGBTQ-Plus-Community rund um die Pride. Menschen nutzen Instagram, um sich zu verbinden und zu unterstützen.

Ein weiteres Experiment war, Likes zu entfernen, zumindest sichtbare Likes. Es wurde getestet, aber es wurde nie implementiert.

Wir testen das immer noch, weil wir herausfinden wollen, ob das genau die richtige Veränderung wäre – die übergeordnete Idee dahinter, den Druck zu verringern, ist sehr wichtig. Aber die Details machen hier viel aus.Einer der Gründe, auf Instagram zu kommen, ist, sich inspirieren zu lassen, herauszufinden, was cool ist und im Trend liegt. Um ein Gefühl für den Zeitgeist zu bekommen. Über verschiedene Signale, einschließlich der Likes, können die Menschen herausfinden, was gerade angesagt ist. Das muss man eben auch beachten. Wir testen viel und versuchen herauszubekommen, wie sich beides vereinen lässt, um den Nutzern genau die Erfahrung zu ermöglichen, die sie bei Instagram suchen.

Welche Rolle spielen Werbung, Sponsored Posts oder auch Shopping in dieser Entwicklung? Schließlich zeigen auch die in der Regel Idealbilder.

Wenn man neue Funktionen einführt, etwa Shopping, denkt man darüber nach, was man damit ermöglicht, was daran einzigartig und großartig ist. Mit Shopping hat die Community die Möglichkeit, Produkte über Creator zu finden. Wenn ich gerne koche, kann der Creator sagen, dass dieser Topf oder diese Pfanne toll ist, oder dass diese Produktreihe besonders empfehlenswert war. Andererseits muss man bei der Entwicklung solcher Produkte auch daran denken, wie sie missbraucht werden können. Und auch den Druck, den Produkte erzeugen können, muss man im Vorfeld bedenken. Deswegen entwickeln wir Regeln, wie unsere Produkte genutzt werden können und setzen diese durch. 

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