Erfahrungsbericht: Wenn Eltern sich für ihre Kinder schämen: Eine Mutter berichtet

Unabhängig davon, wie sehr man seinen Nachwuchs liebt oder wie stolz man auf ihn ist – manchmal ist er einfach nur schrecklich. 

Dieser Text erschien zuerst an dieser Stelle bei brigitte.de.

Das Beste, was mir in meinem Leben je passiert ist, sind meine Kinder. Trotzdem  – und ich schäme mich ein bisschen das zu sagen – schäme ich mich manchmal für sie. Damit meine ich nicht, wenn sie zu laut schreien im Restaurant, wenn sie einen Wutanfall bekommen oder Wörter benutzen, die sie nicht benutzen sollen. Das alles sind Dinge, die Kinder eben machen. 

„Deine Freundin ist echt hässlich, Mama!“

Was ich richtig schlimm finde, ist, wenn meine Kinder sich respektlos anderen gegenüber zeigen. Wenn sie sich schlecht erzogen benehmen. Wenn sie einfach komplett bescheuerte Menschen sind. Zum Beispiel hat meine damals sechs Jahre alte Tochter mal zu einer meiner Bekannten sehr laut Folgendes gesagt: „Du bist  wirklich überhaupt nicht schön!“ und dann zu mir noch lauter: „Deine  Freundin ist hässlich, Mama!“ Das alles fand ich auf ganz vielen Ebenen peinlich:

1. Weil diese Frau richtig getroffen war, was mir unendlich leid tut.

2. Weil ich ihr bestimmt nicht beigebracht habe, dass es wichtig ist, wie man aussieht.

3. Und weil ich es so furchtbar gemein und oberflächlich fand.

Hatte ich dieses unsensible Monster erschaffen?

Ich wäre gern ruhig und sachlich geblieben, aber irgendwie fiel mir in dem Moment gar nichts dazu ein. Ich verfiel in Schockstarre und weiß nur, dass ich sie irgendwo hinzog und auch im Nachhinein ziemlich angespannt versuchte, ihr zu erklären, dass man sowas nicht sagt, weil das andere Menschen verletzt. Am allermeisten hatte mich irritiert, wie sie dabei geguckt hatte, regelrecht fies war ihr Gesichtsausdruck. War dieses kleine Monster tatsächlich das niedliche Mädchen, das ich vor fast sechs Jahren unter Schmerzen in die Welt gesetzt hatte? Hatte ich dieses unsensible, gemeine Gör erschaffen?

Übrigens verstand meine Erstgeborene erstmal überhaupt nicht, was mein Problem war – sie hatte ja nur gesagt, was sie dachte. Es war mir trotzdem furchtbar unangenehm. Vermutlich auch, weil ich mich verantwortlich fühlte. (Es ist nicht wichtig, aber meine Bekannte ist kein bisschen hässlich!). Ähnlich war es mir nur ergangen, als meine Jüngste dem kleinsten und dünnsten Mädchen brutal vors Schienbein getreten und danach gehässig gelacht hatte. Oder meine Größte „Waaaas? Nur ein Buch?! Das ist doch kein Geschenk!“ jaulte und alles auf den Boden warf, obwohl meine Freundin ein wirklich wunderhübsches Märchenbuch mitgebracht hatte, und zwar einfach nur so. Nicht zum Geburtstags oder sowas. 

Es geht nicht um das Kind, es geht um mich

Und da ist das Problem: Es geht ja gar nicht um das Kind, es geht um mich. Ich schäme mich für dieses Geschöpf, das ich liebe wie nur ein anderes: seine Schwester. Und ich schäme mich für die Scham, die ich empfinde, wenn sie sich nicht so benimmt, wie ich es gern hätte. Warum kann ich sie nicht einfach auch mal so richtig scheiße sein lassen und drüberstehen?

Allerdings frage ich mich auch: Vielleicht ist meine Scham nur Sorge? Weil ich ja möchte, dass aus meinen Kindern anständige Menschen werden. Ich liebe sie schließlich. Und ist das nicht genau die richtige Art der Zuneigung? Wenn man jemanden liebt, für den man sich manchmal auch schämen muss? Alles andere wäre schließlich sehr leicht – und das ist es eben mit Kindern oft nicht. Für alle. 

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