In der letzten Woche erlebten die ukrainischen Streitkräfte eine böse Überraschung. Teilweise wurden ihre Kolonnen zerschossen, noch bevor sie in die Nähe der russischen Stellungen kamen. Putins Soldaten haben offenbar dazugelernt.
Seit Montag hat die Ukraine eine ganze Reihe von Angriffen am Boden gestartet. Sie sind Teil der großen Sommeroffensive, aber sicherlich nicht der große Schlag, bei dem 100.000 Soldaten antreten. Es ist aber auch weit mehr als eine Reihe von Kommandoaktionen, dafür sind die eingesetzten Truppen und die Verluste zu groß. Denn insgesamt hat Kiew bislang wenig erreicht und dabei doch – gemessen an der Zahl der eingesetzten Soldaten – große Verluste erlitten. Nach fünf Tagen wurde eine Reihe von Ortschaften zunächst befreit, musste dann aber wieder aufgegeben werden. Diese Siedlungen sind teilweise so klein, dass man sie kaum „Dorf“ nennen kann.
Dauerhaft hat Kiew ein Gebiet von etwa 20 Quadratkilometern einnehmen können südlich-östlich von Welyka Nowosilka. Derzeit sieht es so aus, als hätten sich die Russen dort aus zwei Ortschaften zurückgezogen, weil sie befürchten mussten, abgeschnitten zu werden.Verlust Leopard 2 16.55
Missglückter Einsatz des Leopard 2
Zu den begrenzten Geländegewinnen kam der Schock, als mehrere gepanzerte Kolonnen der Ukrainer aufgerieben wurden. Darunter auch Leopard 2 Panzer und Schützenpanzer vom US-Typ Bradley. Gemessen an den hochstehenden Erwartungen, die westliche Experten geweckt haben, war das ein Schock. Der auch nicht dadurch verringert werden kann, indem weitere Experten die Verluste nicht gelten lassen wollen, weil nur die wenigsten Panzer komplett zerstört worden und die anderen zu reparieren seien. Wie es scheint, sind die Ukrainer in eine offensichtliche Falle getappt. Die Russen haben die beschädigten Fahrzeuge zunächst nicht vernichtet, sondern als Lockvögel zurückgelassen. Beim Versuch sie zu bergen, ist die nächste ukrainische Gruppe unter Feuer geraten. Die russische Seite flutet das Netz seitdem mit immer neuem Videomaterial, das aber doch meist die gleichen Ereignisse zeigt, oder neue Einschläge in die zurückgelassenen Fahrzeuge. Alles in allem kann die Ukraine diese Verluste verschmerzen, muss aber Mittel finden, damit dies nicht weiter geschieht.
Womit setzen die Russen den ukrainischen Truppen so sehr zu? Zunächst einmal nicht mit ihrem gestaffelten Festungssystem. Die Kämpfe finden bislang in der grauen Zone zwischen den Linien statt und in der ersten Schicht der russischen Verteidigungsanlagen.Oberstleutnant der russischen Armee wirft Wagner Folter vor 11.30
Meister des Minenkrieges
Die Russen haben die Zeit vor der Offensive dazu genutzt, im großen Maßstab Minensperren anzulegen. Der Ukraine scheint es nicht zu gelingen, die Minensperren vor dem Einsatz von Bodentruppen zu klären, auch der Einsatz von speziellen Salvenraketen, die Lücken in die Sperren schlagen, löst das Problem nicht. Beide Methoden lassen sich auch nur anwenden, wenn die Lage des Minenfeldes bekannt ist.
Wegen der Minengefahr können die Fahrzeuge nicht ausschwärmen, sie bewegen sich im Gänsemarsch hinter einem Panzer mit Ausrüstung zum Minenräumen. Dabei wird mit verschiedenen Gerätschaften der Boden vor dem Panzer bearbeitet, um die Minen so zur Explosion zu bringen. Dieses Verfahren erlaubt keine hohe Geschwindigkeit, die Kolonne bewegt sich sehr langsam, entsprechend länger haben die Russen Zeit sich vorzubereiten. Bei den jüngsten russischen Erfolgen fiel als erstes der Minenräumer aus. Er kann mit Raketen beschossen worden sein, es ist aber denkbar, dass er in eine Minenfalle gelaufen ist. Das geschieht, wenn unter die normalen Panzerminen präparierte Ladungen, die vom Räumgerät nicht zur Explosion gebracht werden, platziert werden. Mit dem Ausfall des Räumpanzers wird die Kolonne unter Feuer genommen und muss ausscheren und gerät so in das umliegende Minenfeld.
Gleichzeitig rüsten die Russen ihre Minenfelder mitten im Kampf auf, so zumindest prorussische Beobachter. Sie nutzen dazu spezielle Raketenwerfer, die Minen verteilen. Ein Waffensystem, das es auch im Westen gibt. Diese Werfer verminen die geräumte Zone hinter der Kolonne erneut und gleichzeitig werden auch auf dem Rückzugsweg der Ukrainer neue Minen ausgebracht.
Schnelle Panzervernichtungstrupps
Neben den eingegrabenen Truppen in ihren Gräbern und Bunkern setzen die Russen hochbewegliche Kommandotruppen ein, die in kleinen Gruppen mit Antipanzer-Raketen die ukrainischen Fahrzeuge angreifen. Dabei sollen sich mit kleinen beweglichen geländegängigen Fahrzeugen sehr schnell bewegen. Es ist von Buggys die Rede, es können aber auch ganz normale zivile Quads und Ähnliches sein. Diese Fahrzeuge können drei Mann und eine Lenkwaffe transportieren. Sie sind schwer zu entdecken und zu bekämpfen. Das führt dazu, dass die ukrainischen Kolonnen von Punkten aus angegriffen werden, in denen sie gar keine Russen vermutet haben. Die Reichweite von Antipanzerlenkwaffen liegt teilweise über vier, fünf Kilometern. Mit vergleichbaren Taktiken haben die ukrainischen Soldaten die Russen in der Phase nach der Invasion bekämpft.
Hubschrauber greifen unbehelligt an
Der größte Schock für Kiew dürfte der Einsatz von Kampfhubschraubern sein. Sie können in Frontnähe operieren, ohne dass sie die ukrainische Luftabwehr behelligt. Die Situation ist anders als zu Beginn des Krieges, in der der Ukraine zahlreiche Abschüsse glückten. Heute bewegen sich die KA-52 Hubschrauber nur über russisch kontrollierte Gebiete, von dort aus nehmen sie Kiews Kolonnen unter Beschuss.
Da sich die ukrainischen Truppen auf den Gegner zu bewegen, müssten sie den Flakpanzer Gepard oder Systeme mit Abwehrraketen wie die 9K35 Strela-10 mit sich führen. Manpads könnten die Kampfhubschrauber auf die Entfernung nicht erfassen.
Doch selbst das brächte keine durchschlagende Hilfe. Die Hubschrauber setzen Anti-Panzer-Raketen vom Typ Wirbelsturm – 9K121 Vikhr, das russische Gegenstück zur amerikanischen Hellfire.
Die Vikhr ist nicht das modernste System. Sie „reitet“ auf einem Laserstrahl, der sie zum Ziel führt. Nach dem Start „brummt“ die Rakete in einer deutlichen Spiralbewegung, erst bei höherer Geschwindigkeit stabilisiert sich die Bahn. Es ist keine Fire-and-Forget-Waffe und der Endanflug der Rakete kann nicht von oben erfolgen. Dafür wird die Tandemhohlladung von fast neun Kilo jedem Gegner gefährlich. Die Reichweite beträgt acht Kilometer. Wegen der langen Flugdauer auf den russischen Videos wird vermutet, dass die Reichweite noch gesteigert wurde. Damit könnte der Hubschrauber weit außerhalb der Reichweite von Gepard und Strela bleiben. Er müsste mit weitreichenden Abwehrsystemen bekämpft werden. Wie schwer das ist, zeigt der Verlust eines Iris-T-Radars in dieser Woche.
Das deutsche Abwehrsystem Iris-T erreicht eine maximale Reichweite von 40 Kilometern, wenn eine breitere Zone an der Front abgedeckt werden soll, schrumpft die effektive Reichweite. Angenommen, zwischen größeren ukrainischen Stellungen und denen der Russen liegt eine Grauzone von zehn Kilometern aus Niemandsland und einzelnen Posten. Soll Iris-T zehn Kilometer hinter der russischen Front eingreifen, müsste es zehn Kilometer hinter der ukrainischen Linie platziert werden, also mitten im Wirkungsbereich der russischen Kamikaze-Drohnen. Solange der Kampfhubschrauber nicht selbst bekämpft wird, ist eine gepanzerte Kolonne nur eine Zielscheibe für ihn. Er kann nach Belieben Fahrzeuge aus der Gruppe herausschießen. Die Ukrainer können versuchen, die Elektronik der angreifenden Raketen zu stören, das wird die Verluste aber nur mindern.
Neben diesen drei Faktoren setzen die Russen weitere Fernwaffen wie Artillerie und Drohnenschwärme ein. Um die Kolonnen der Ukrainer abzuwehren, mussten sie aber noch keine Panzer einsetzen.
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