Ampel-Sparbeschlüsse: Deutschland im Winter 2023 – willkommen im „Ja, aber“-Land

Deutschland ist das Land des Ausgleichs und der Gerechtigkeit. Klingt toll, führt nur meist in eine Sackgasse. Dort, wo auf alle Rücksicht genommen wird, kommt niemand zu seinen Recht, wie der Regierungsstreit um die eigenen Sparbeschlüsse zeigt.–

„Beginnen Sie mal, irgendwelche Vorgaben zu ändern, dann kommen sofort drei Leute an, die mahnen, warum genau das nicht sein darf“, sagte Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher einmal dem stern. Anlass war damals sein Besuch des örtlichen Landschaftsbauverbands, Entbürokratisierung lautete das Stichwort. Aber das Stadtoberhaupt winkte nur seufzend ab, denn in Deutschland regiert das Ja, aber.

Die Hausbauer kennen das, sie verzweifeln an den Myriaden an Vorgaben, die sich auch noch teilweise widersprechen. Man müsste das Baurecht also mal entschlacken, heißt es dann, doch sofort schallt es zurück: Ja, aber die Sicherheit, ja, aber der Brandschutz, ja, aber die Geräusche.

Deutscher Drang zur Einzelfallgerechtigkeit

Irgendwas ist halt immer, alles ist sinnvoll, das meiste wichtig, nichts darf ungeregelt bleiben: die aufwendige Dokumentationspflicht in der Pflege, der Datenschutz bei der elektronischen Patientenakte, die Anschaffung von Wärmepumpen, die Garantie dafür, dass bei der Herstellung von Gummienten in Laos keine Menschenrechte verletzt werden. 

„Drang zur Einzelfallgerechtigkeit“ nennt sich das in der Bürokratieforschung. In Deutschland ist er besonders stark ausgeprägt. Die Rücksichtnahme auf möglichst viele Bedürfnisse klingt nach Ausgleich und Gerechtigkeit, und so ist sie auch gemeint, doch leider lähmt sie jeden Schritt in irgendeine Richtung. Mittlerweile hat die Ja, aberitis auch die Bundesregierung erreicht und in ihrer ganzen Tragik die Form von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir angenommen

18-12-23 E Auto Förderung Kommentar15.01

Es war unter anderem Vizekanzler Robert Habeck, der seinen Parteifreund Özdemir zwischen die Stühle bugisert hatte. Weil die Regierung nach der verbaselten Schuldenumwidmung sparen muss, will die Kabinettsspitze unter anderem die Agrardieselsubventionen streichen. Eigentlich eine gute Sache für den Grünen Özdemir. Wegen Klimaschutz und so. Blöd allerdings, dass der Landwirtschaftsminister Özdemir genau das verhindern wollte, um die Bauern nicht mit noch höheren Treibstoffkosten zu belasten. 

Franzosen bekommen den Diesel gefördert

Dazu kommen Inflation, teurer Diesel, die allgemeine Billigmentalität und Lebensmittelkonzerne, die die Einkaufspreise drücken, wo sie nur können. Ganz nebenbei sind die allermeisten Bauern ohne ihre schweren wie spritfressenden Maschinen aufgeschmissen, Elektroalternativen gibt es kaum. Unfair ist die Streichung übrigens auch im innereuropäischen Wettbewerb, weil der Treibstoff für die Kollegen in Frankreich weiter subventioniert wird – deutsche Landwirtschaft ist teure Landwirtschaft. Das sind viele Gründe, viele Ja, aber, und jedes einzelne ist nachvollziehbar. 

Haushalt 2024 Kosten Verbraucher18.00

Ob und was diese einzelne Maßnahme für die einzelnen Bauern tatsächlich bringen, geht im Dschungel der Gesamtagrarsubventionen unter. Sieben Milliarden Euro erhalten Landwirte pro Jahr an staatlicher Förderung. Das entspricht in Schnitt knapp 23.000 Euro für jeden der rund 300.000 Empfänger. Was wäre gewonnen, sollte Cem Özdemir, der Minister mit dem Ja, aber-Herzen doch noch von den Kabinettskollegen Scholz, Habeck und Lindner erhört werden? Kein Euro würde gespart, kein Bauernhof klimafreundlicher und kein Anreiz für niemanden geschaffen, sich nach Elektromobilität oder anderen umweltschonenden Techniken umzuschauen. 

Aufschrei, Nachbesserung, Aufschrei

Einzelne Härten und Ungerechtigkeiten werden sich aber nie vermeiden lassen, sie wären aber leichter abpufferbar, wenn das Sparpaket so etwas wie eine verbindende Erzählung hätte, zumindest eine Überschrift. Geschuldet ist der unausgegorene Aktionismus, klar, dem Zeitmangel, aber selbst wenn sich die Bundesregierung mehr Ruhe gönnt, versanden ihre Projekte mitunter im Klein-Klein der Es-Allen-Recht-Macherei. Wie zum Beispiel das Heizungsgesetz: Erst ein riesiger Aufschrei, dann Nachbesserung um Nachbesserung, bis es am Ende so kompliziert wird, dass niemand mehr durchblickt. Und dann? Ist der Aufschrei immer noch da. 

CAPITAL: Gesetze im Test: Woran der Bürokratieabbau bisher scheitert, 20.30

Es steht zu befürchten, dass diese endlosen Ja, aber-Diskussionen nun durch das zusammengeschusterte Sparpaket dekliniert werden. Denn Deutschland ist groß genug, um bei jedem Thema genügend Menschen zu finden, die sich vor den Kopf gestoßen fühlen werden. E-Autokäufer zurecht, vermutlich auch Dieselfahrzeug-Besitzer oder Heizungsbenutzer. Noch mehr ist zu befürchten, dass jeder ihrer Einwände von der Bundesregierung erhört werden wird – und sie nach nur wenigen Tage das Paket ihrer eigenen Beschlüsse neu aufmacht. Planungssicherheit, das war einmal im Ja, aber-Land.

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