Wohnungsmarkt: Wenn Mieten explodieren – trotz Karriere mit 55 obdachlos

Bibi Lynch ist 55 Jahre, durchaus erfolgreich, aber lebt seit zehn Jahren im Zustand der verdeckten Obdachlosigkeit und wandert von einer Wohnzimmercouch zum nächsten Gästebett.

In Deutschlands begehrten Städten steigen die Immobilienpreise rasant an. Im Bericht „Global Real Estate Bubble Index“ der Schweizer Bank UBS schlagen Frankfurt und München New York und London. „Überbewertung“ ist eigentlich eine Kategorie für Anleger, aber für normale Menschen bedeutet dies: Die Mieten gehen durch die Decke. Vor allem dann, wenn sich die Preisentwicklung für die wirklich am Markt verfügbaren Objekte angesehen wird. Sobald Sozialwohnungen und Altmieter, die seit 20 Jahren in ihrer Wohnung leben und sehr weitgehend vor Mieterhöhungen geschützt sind, mitbetrachtet werden, beruhigt sich die Lage statistisch gesehen. Aber eben nicht für diejenigen, die aktuell eine Wohnung suchen.

In München haben sich die Mieten seit 2010 um beinahe 40 Prozent verteuert. In der gleichen Zeit sind die Kaufpreise noch weit stärker gestiegen, sie haben sich verdoppelt.PAID Wohnungsmarkt Auswertung 1650

Immobilienbesitzer und Habenichtse

In Städten wie London kann man heute schon beobachten, wohin die Reise geht, wenn die Immobilienpreise wie in München in einem Jahr real nach Abzug der Inflation um acht Prozent steigen. Und welche sozialen Kosten das mit sich bringt. Auf der einen Seite stehen die, die rechtzeitig in die „Immobilien Leiter“ eingestiegen sind. Sie haben früh ein Appartement gekauft und das dann mit Wertzuwachs für die nächste größere Wohnung verkauft. Auf der anderen Seite bleiben all die, die für eine kommunale Wohnung zu reich, für den Wohnungsmarkt aber zu arm sind.

Ein Fehler genügte

Die Publizistin Bibi Lynch gibt im britischen „Telegraph“ einen schonungslosen Einblick, wie sie seit über zehn Jahren an der Obdachlosigkeit vorbeischrammt. Trotz ihres durchaus erfolgreichen Berufslebens hangelte sich Lynch jahrelang mit befristeten Untermietsverhältnissen und Couchsurfing durch. Mit 55 Jahren fürchtet sie nun, komplett obdachlos zu werden, gerade als sie glaubte, dass sich ihre Wohnsituation normalisiert hätte. Lynch vermutet, dass die Zuhörer ihrer Sendungen unter anderem bei der BBC annehmen, sie gehöre zu den „fat cats“ des Rundfunks und würde in einem fancy Studio in einer angesagten Straße in London residieren. Stattdessen wohnt sie temporär in einem schimmeligen Loch, das sie nun auch noch verlieren wird.Boomerang Kinder

Lynch hatte eigentlich alles richtig gemacht: Ab dem 18. Lebensjahr hatte sie gearbeitet und mit 35 Jahren kaufte sie eine Wohnung in London. So weit so gut. Fünf Jahre später verkaufte sie das Objekt, weil nebenan ein nervtötender Ruhestörer eingezogen war. Und dann nahm sie einmal im Leben eine falsche Abzweigung: Sie verkaufte die Wohnung mit dem Plan, eine andere zu kaufen. Doch dann kam die Wirtschaftskrise 2008 – die freiberuflich tätige Frau verlor ihre Einnahmen. Mit dem Gewinn aus dem Verkauf des Appartements hielt sie sich über Wasser – aber sie verlor so das nötige Eigenkapital zum nächsten Wohnungskauf.

Seele und Freundeskreis ruiniert

Dazu kam ein weiterer Faktor: Lynch besaß keinen privaten Rettungsanker. Sie hat weder vermögende Eltern noch einen gut verdienenden Mann, die sie finanziell abfederten. In London kostete eine Ein-Zimmer-Wohnung aber bereits 1500 Pfund aufwärts. „Wie konnte ich mir das leisten? Ich wohnte ein paar Wochen bei einer Freundin, dann fünf Monate bei der Freundin meines Bruders, und dann fand ich eine WG.“ Mit der WG war es vorbei, als die Hauptmieterin einen Mann kennenlernte. Und so zog Lynch weiter und wurde zu einer versteckten Obdachlosen, die in keiner Statistik auftaucht. Wie all diejenigen, die pro forma noch eine Meldeadresse besitzen und sich „irgendwie“ von einer Couch zum nächsten Gästebett durchhangeln.

„In zehn Jahren bin ich 30 Mal umgezogen; 19 Mal in besonders reizvollen 24 Monaten. Ich schlief auf dem Sofa eines Fremden und übernachtete in Gästezimmern, die Freunden von Freunden gehörten. Einmal musste ich zusammenpacken und mitten in der Woche ausziehen, da eine Bekannte ihren Freund nicht mit mir in der gleichen Wohnung haben wollte.“ Auf dem Wohnungsmarkt traf sie auf solche Angebote: Sie sollte ein feuchtes Zimmer und das Bett mit einem Mann teilen, der nachts arbeitete und tagsüber schief. In London ist das für Servicekräfte und andere Personen mit geringem Einkommen bereits „the new normal“. Sie schreibt, dass diese Zeit der Unsicherheit ihr Selbstwertgefühl, die geistige Gesundheit und ihr ganzes Leben zerstört habe. Dazu hat diese verdeckte Obdachlosigkeit ihren Freundeskreis ruiniert. „Sie haben mir geholfen und mich dann dafür bestraft, dass ich ihre Wohltätigkeit angenommen habe“, klagt sie.

Vor drei Jahren zog Lynch nach East Sussex und hatte erstmals wieder eine Wohnung. Die war zwar alles andere als perfekt, aber sie begann ihr Leben auf die Spur zu bekommen. Auch dass sie die Wohnung wieder verlassen musste, schien kein Problem zu sein. Solange bis ihre Bank ohne Ankündigung ihr Konto schloss. Ohne Begründung. Schulden und ausstehende Rechnungen gab es nicht. Vermutlich verdiente die Bank nicht genug an ihr. Doch mit dem gekündigten Konto ist die Bonität ruiniert, die Chancen für Bibi Lynch eine Wohnung in den nächsten Jahren zu finden, sind damit gleich null. Da entschloss sie sich zu dem Artikel, der eigentlich ein Aufschrei der gequälten Frau ist.

Quelle: Telegraph

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