stern-DISKUTHEK: Diskussion zum Tempolimit: Rasen oder nicht Rasen?

Frau Metz, warum fordern Sie ein Tempolimit?

MetzBarbara Metz: Man kann es superschnell einführen, es kostet nichts und ist lange überfällig. Wenn wir die Klimaziele einhalten wollen, müssen wir die Emissionen runterkriegen. Mit dem Tempolimit können wir bis zu fünf Millionen Tonnen CO2 jährlich sparen.

Klingt das plausibel, Herr Grau?

GrauChristopher Grau: Nein, überhaupt nicht. Da kratzen wir bei den CO2-Einsparungen irgendwo im Ein-Prozent- Bereich des Gesamtverkehrs. Das ist eigent­lich überhaupt nicht relevant. Die Zahlen sind auch nur irgendwie hypothetisch berechnet.

Metz: Das sind Zahlen vom Umweltbundesamt.

Grau: Ja, von vor gut 20 Jahren. Auch dass immer gesagt wird, die Verkehrssicherheit in Deutschland wird positiv beeinflusst, ist Quatsch. Das wird einfach nur vermutet.

Metz: Es gibt Praxisbeispiele, die das zeigen, zum Beispiel die A4 zwischen Köln und Aachen. Da sind sehr viele Unfälle passiert, neun Tote in drei Jahren. Man hat dann ein Tempolimit veranlasst von 130 pro Stunde und hat den gleichen Zeitraum danach betrachtet. Und es gab keinen einzigen tödlichen Unfall.

Grau: Wer weiß, ob die Unfälle vorher nicht auch mit Tempolimit passiert wären? Das kann keiner sagen. „Überhöhte Geschwindigkeit“ wird von der Polizei nach einem Unfall festgehalten, also „nicht angepasste Geschwindigkeit“. Das wird dann „Raser­unfälle“ genannt. Es kann aber auch bei Regen passieren, dass ein Auto außer Kontrolle gerät.

Herr Grau, Sie argumentieren oft mit der „Freiheit“ gegen ein Tempolimit. Was meinen Sie damit?

Grau: Dass ich könnte, wenn ich wollte. Wenn man auf der Autobahn unterwegs ist, und es ist abends nicht viel los. Und dann fahre ich bestimmt nicht mit 130 stumpf geradeaus.

Wir akzeptieren sehr viele Verkehrsregeln, dass wir nicht rechts überholen dürfen zum Beispiel. Warum sollte die Akzeptanz beim Tempolimit aufhören?

Grau: Ganz einfach, weil wir schon Ge­setze dafür haben. Ich muss die Geschwindigkeit anpassen an den Verkehr, das ist gesetzlich festgelegt. Und rasen darf ich auch nicht. Es gibt einen Paragrafen, der „Rennen gegen sich selbst“ unter Strafe stellt.

Können Sie das Argument nachvollziehen, Frau Metz?

Metz: Nein. Die Freiheit des einen hört da auf, wo die persönliche Freiheit des anderen in Mitleidenschaft gezogen wird. Das ist so auf der Autobahn. Ich kann mir alle möglichen Sachen vorstellen, wofür ich kämpfen würde: die Freiheit, dass jeder entscheiden darf, wen er heiratet. Dass jeder wählen darf. Aber zu sagen, die Freiheit auf der Autobahn ist ein Kulturgut, das wir bewahren müssen, das finde ich total schräg. Wir sind weltweit das letzte Industrieland, das kein Tempolimit hat.

Grau: Die Isle of Man hat keines.

Metz: Isle of Man? Das muss ich mir merken.

Das Tempolimit wird immer wieder diskutiert und abgelehnt, zuletzt im Bundestag im vergangenen Oktober. Eine knappe Mehrheit der Bevölkerung ist jetzt dafür. Der ADAC will sich nun raushalten aus der Debatte. Dreht sich der Wind gerade zugunsten der Befürworter?

Metz: Ja, wenn wir in eineinhalb Jahren eine andere Regierung bekommen, eventuell mit grüner Beteiligung. Da bin ich mir ziemlich sicher, dass wir eine mit mehr Vernunft gesteuerte Verkehrspolitik und ein Tempolimit kriegen werden.

Grau: Ich war erst richtig angepisst, als ich das mit dem ADAC gehört habe. Aber dann habe ich mir durchgelesen, was sie eigentlich sagen. Sie sagen: Beweist doch bitte erst einmal, dass das wirklich einen positiven Einfluss hat. Ich bin nach wie vor der Meinung, es wird keinen positiven Einfluss haben.

Christopher Grau und Barbara Metz
Moderator Aimen Abdulaziz-Said mit seinen Gästen
© Edgars Noskovs/stern

Und wenn es einen hätte, wären Sie dann für ein Tempolimit?

Grau: Nein. Weil es viel zu wenig bringt.

In der von Ihnen gegründeten Facebook-Gruppe hieß es anfangs, man wolle etwas gegen die „überhandnehmende“ Debatte um den Klimawandel tun. Hat Klimaschutz für Sie keine Priorität?

Grau: Das täuscht. Wir haben den Text geändert. Aber diese ganzen Klimadebatten, die wir momentan öffentlich haben, sind wirklich immer so mikroskopische Dinge. Es wird überhaupt nicht auf den Punkt eingegangen, an dem man Großes umsetzen könnte.

Metz: Man kann sagen, der Verkehr stößt 163 Millionen Tonnen CO2 aus, was sollen die fünf? Klar. Aber ich muss irgendwo anfangen. Und damit beeinflusse ich dann zum Beispiel die Modellpolitik der Autohersteller, deren große Fahrzeuge dann nicht mehr zeitgemäß sind. Die Industrie versucht gerade massiv, solche Fahrzeuge in den Markt zu drücken, jenseits jeglicher Klimapolitik. Wenn alle langsamer fahren müssten, würde der Verkehr homogener fließen, und das käme zum Beispiel auch der Reichweite von Elektroautos zugute.

Reden wir über die Sicherheit. Frau Metz, ist es nicht eine populistische Forderung, zu sagen, wir brauchen ein Tempolimit auf Autobahnen, wenn es statistisch gesehen die sichersten Straßen des Landes sind?

Metz: Diese Statistik interessiert die Leute nicht, die trotzdem auf diesen Straßen sterben. Und im letzten Jahr waren es auf Autobahnen um die 350, im Straßenverkehr 3080. Man kann die Zahl der Verkehrstoten reduzieren und auch die der Schwerverletzten. Ich mache mir Sorgen, wenn Familienmitglieder von mir unterwegs sind. Ich habe Kinder, da macht man sich immer noch mehr Sorgen. Wenn ich auf der Autobahn unterwegs bin, fühle ich mich zum Beispiel in der Schweiz, wo maximal 120 erlaubt sind, deutlich sicherer.

Wenn bewiesen wäre, dass ein Tempolimit auch nur ein Menschenleben rettet. Wären Sie dann dafür, Herr Grau?

Grau: Das ist eine sehr polarisierende ­Frage. Ich sage mal so: Es wird im Verkehr immer Tote geben. Wir können sie einfach nicht verhindern. Und zu den Toten auf der Autobahn: Sind die Unfälle alle wegen überhöhter Geschwindigkeit passiert? Nein. Bei den 30, 40 Rasern darunter muss man leider auch sagen, sie sind gewissermaßen selber schuld.

Metz: Oft sterben aber gerade die anderen Verkehrsteilnehmer bei solchen Unfällen.

Grau: Woher weiß ich denn, dass sich die Raser an das Tempolimit halten?

Metz: Das weiß ich nicht. Ich muss es richtig kontrollieren. In der Schweiz sind die Sanktionen deutlich höher als in Deutschland, das wird teilweise mit Gefängnis geahndet. Da ist die Zahl der Verkehr­stoten deutlich zurückgegangen.

Herr Grau, fahren Sie schnell, weil es Spaß macht oder weil Sie schneller von A nach B kommen wollen?

Grau: Hierher zum Termin bin ich auch mal 170, 180 gefahren. Es war komplett frei, und dann will man halt auch mal schnel­ler ankommen. Diese Höchstgeschwindigkeit ist für mich aber überhaupt nicht wichtig, weit über 200 fahre ich auch nicht. Mir geht’s um die Beschleunigung.

Sie sind Tuner. Könnte Ihr Geschäft darunter leiden, wenn es ein Tempolimit gäbe?

Grau: Meine Kunden sind eher auf der Rennstrecke unterwegs. Es gibt einfach Leute, die lieben ihre Autos, und sie geben ihr ganzes Monatsgehalt dafür aus, und das wird auch so bleiben.

Frau Metz, Herr Grau, welches Argument des anderen hat Sie am meisten überzeugt?

Metz: Ich bin von nichts überzeugt. Wenn es mit dem Klima so weitergeht wie jetzt, dann haben wir 2050 drei Grad mehr. Mein Sohn wird 2050 so alt sein wie ich jetzt. Und ich frage mich ernsthaft: Wird er möglicherweise selbst keine Kinder in die Welt setzen, weil die Welt eine andere ist als heute? Wir müssen uns an eine andere Mobilität gewöhnen, als wir sie heute haben.

Grau: Ich bin immer noch vehement dagegen. Aber ich habe ein Modell, das ich mir vorstellen könnte. Tagsüber ein Tempoli­mit und nachts, wenn deutlich weniger Verkehr ist, nicht.

Frau Metz, könnten Sie damit leben?

Metz: Das wäre zwar besser als nichts, aber vielleicht würden viele Leute dann nachts erst recht rasen. Ein allgemeines Tempolimit ist viel sinnvoller.

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