Russische Invasion: Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Präsident Selenskyj fordert neue Sanktionen gegen die russische Nuklearindustrie, um die stolze Atommacht international zu blockieren. Er warnt erneut vor einer atomaren Katastrophe. Die Entwicklungen.

Angesichts der Kämpfe um das Atomkraftwerk Saporischschja in der Ukraine fordert Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew den Westen zu Sanktionen gegen Russlands Atomindustrie auf. Die Strafmaßnahmen müssten die Nuklearindustrie des Aggressorstaates treffen, sagte Selenskyj in einer Videoansprache. Die Atommacht Russland baut oder betreibt in mehreren Ländern Kernkraftwerke und lagert auch radioaktiven Müll bei sich. Das Land gilt etwa für die USA als Konkurrent auf dem Markt.

Russland benutze das AKW im Süden der Ukraine, um die Menschen in Angst zu versetzen sowie um die ukrainische Führung und die ganze Welt zu erpressen, sagte Selenskyj. Kiew und Moskau werfen sich seit Tagen gegenseitig vor, für den Beschuss des größten Atomkraftwerks in Europa verantwortlich zu sein. Russland hat die weitläufige Anlage in der Stadt Enerhodar seit Monaten besetzt. Der Sonntag ist Tag 172. in dem russischen Angriffskrieg.

Selenskyj warnt vor atomarer Katastrophe

Selenskyj warf den russischen Truppen vor, das Gelände als Festung zu nutzen, um von dort auf die am anderen Ufer des Dnipro-Stausees liegenden Kleinstädte Nikopol und Marhanez zu schießen. Er warnte davor, dass der Aufmarsch russischer Truppen auf dem Areal des AKW „die radioaktive Bedrohung für Europa so erhöht, wie es sie nicht einmal zu den schwierigsten Augenblicken der Konfrontation in den Zeiten des Kalten Krieges gab“. Er hatte schon zuvor vor einer möglichen atomaren Katastrophe gewarnt.

Weiter sagte Selenskyj: „Natürlich muss es darauf eine harte Reaktion geben.“ Ukrainische Diplomaten und Vertreter der Partnerstaaten unternähmen nun alles, um Russlands Atomindustrie zu blockieren. Zugleich forderte der Präsident, die verantwortlichen Amtsträger des „Terrorstaates“ durch die internationale Strafjustiz zur Verantwortung zu ziehen. Außerdem werde jeder russische Soldat, der das AKW beschieße oder sich dort verschanze, zum Ziel ukrainischer Geheimagenten und der Armee.

Das mit sechs Reaktoren und einer Nettoleistung von 5700 Megawatt größte Atomkraftwerk Europas wurde von russischen Truppen Anfang März besetzt. Es ist für die Stromversorgung des Landes von strategischer Bedeutung. Ende Februar war Russland in die Ukraine einmarschiert. Die Führung in Moskau und die Besatzungsbehörden in Saporischschja lehnen Forderungen ab, das AKW wieder unter ukrainische Kontrolle zu geben. Im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl ereignete sich 1986 das größte Atomunglück auf europäischen Boden.

AKW Saporischschja: Russischer Diplomat sieht UN in Pflicht

Im Ringen um die Sicherheit des AKWs sieht der russische Diplomat Michail Uljanow die Vereinten Nationen in der Pflicht. Aufgabe des UN-Sekretariats sei es, „grünes Licht zu geben für einen Besuch des AKW von Experten und Expertinnen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), sagte Uljanow in einem am Sonntag veröffentlichten Interview der russischen staatlichen Nachrichtenagentur Tass. Die Diplomat vertritt Russland in Wien bei den internationalen Organisationen. Die IAEA könne sich dann selbst um die „Modalitäten der Reise in die Unruheregion“ kümmern, sagte Uljanow.

Dem Vernehmen nach hatten die UN eine Reise von IAEA-Chef Rafael Grossi nicht nur aus Sicherheitsgründen bisher nicht erlaubt, sondern auch weil es Streit gibt um den Reiseweg. Grossi könnte zum Ärger der Ukraine etwa unter russischem Schutz über die von Moskau 2014 annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim anreisen. „Wir haben mit der Organisation sehr eng gearbeitet im Mai/Juli und den Besuch vorbereitet. Das UN-Sekretariat hat ihn im letzten Moment blockiert, ohne die Gründe dafür zu erklären“, sagte Uljanow.

Erfolge in Südukraine

Selenskyj sagte in einer Ansprache auch, dass die Lage im Osten der Ukraine weiter schwierig, aber ohne große Veränderungen sei. Besonders die Region Charkiw werde immer wieder angegriffen, die Verteidigung aber halte. Russland habe im Donbass indes „kolossale Ressourcen“ an Artillerie, Personal und Ausrüstung aufgefahren.

Im Süden gebe es aber auch gute Nachrichten. Dort gelingt es laut Selenskyj dem ukrainischen Militär immer wieder, den „russischen Okkupanten“ Schläge zu versetzen. Die Autobrücke des Staudamms Nowa Kachowka im Gebiet Cherson ist nach ukrainischen Angaben infolge mehrerer Angriffe nicht mehr befahrbar. Die Brücke sei von Raketen- und Artillerieeinheiten gezielt unbrauchbar gemacht worden, teilte das ukrainische Armeekommando Süd bei Facebook mit.

Demnach gelang es der ukrainischen Armee nun, mittels weitreichender Raketensysteme die letzte der drei einzigen Flussquerungen zu zerstören. Damit soll der Nachschub der russischen Armee auf dem rechten Dnipro-Ufer verhindert und eine Rückeroberung ermöglicht werden. Die Eisenbahnbrücke und die Straßenbrücke bei Cherson hatten die Ukrainer zuvor schon unbrauchbar gemacht. Russische Truppen errichteten über den Fluss eine Fährverbindung für Zivilisten sowie Berichten zufolge auch mehrere Pontonbrücken fürs Militär.

Die Verwaltung der russischen Besatzer bestätigte den Beschuss der Staudammbrücke. Zugleich warnte sie vor Schäden an der Staumauer, was zu einer Katastrophe führen könne. Unabhängig überprüfen ließen sich die Angaben zunächst nicht. Die Betreiber haben nach eigenen Angaben die Leistung des angeschlossenen Wasserkraftwerks auf Notbetrieb heruntergefahren. „Wir arbeiten in einem sehr gefährlichen Modus“, sagte der Vizechef des Kraftwerks, Arsenyj Selenskyj, der russischen staatlichen Nachrichtenagentur Tass zufolge. Seit Beginn des Angriffskriegs hat Russland das Gebiet Cherson am Unterlauf des Flusses Dnipro weitgehend erobert.

Getreidetransporte laufen und bringen Einnahmen

Als gute Nachricht bezeichnete Selenskyj auch den Transport von ukrainischem Getreide und Lebensmitteln über die Häfen im Schwarzen Meer. Inzwischen seien 16 Schiffe mit Mais, Weizen, Soja, Sonnenblumenöl und anderen Produkten ausgelaufen, um die Lage auf dem globalen Lebensmittelmarkt zu entspannen. Die Einnahmen aus dem Verkauf kämen dem Staat und den Landwirten zugute, die nun die neue Saat ausbringen könnten, sagte Selenskyj. „Das ist ein wichtiges Element auf dem Weg zum Sieg“, sagt er.

Agrarexporte über die ukrainischen Schwarzmeerhäfen waren wegen des Krieges monatelang blockiert. Am 22. Juli unterzeichneten die Kriegsgegner Ukraine und Russland unter UN-Vermittlung jeweils getrennt mit der Türkei ein Abkommen, um Getreideausfuhren aus der Ukraine wieder zu ermöglichen. Ein Koordinierungszentrum in Istanbul ist mit Vertretern der vier Parteien besetzt. Die Inspektionen sollen unter anderem sicherstellen, dass Schiffe keine Waffen geladen haben.

Zehn russische Flugzeuge noch in Deutschland

Fast ein halbes Jahr nach Sperrung des EU-Luftraums für Flugzeuge aus Russland stehen in Deutschland noch zehn Maschinen russischer Eigentümer oder unter russischer Kontrolle. Dies berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am Sonntag unter Berufung auf das Bundesverkehrsministerium. „Da die Maschinen aufgrund des EU-Sanktionsregimes einem Start- und Flugverbot unterliegen, können sie durch den Eigentümer nicht genutzt und nicht an einen anderen Ort verbracht werden“, wurde das Ministerium zitiert.

Was heute wichtig wird

Selenskyj erwartet den weiteren Transport von Getreide über das Schwarze Meer. Im Süden und Osten der Ukraine und um das AKW Saporischschja stellen sich die Kriegsparteien auf neue Gefechte ein.

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