Julia Quinn: „Die Sexszenen sind so gemacht, dass sie Frauen gefallen“

Sexy, unterhaltsam, opulent: Die Netflix-Serie „Bridgerton“ bricht alle Rekorde. Die Buchvorlage stammt von der amerikanischen Autorin Julia Quinn. Dem stern erzählt sie, warum Liebesromane zu Unrecht einen schlechten Ruf haben und welche Sexszene sie heute anders schreiben würde.

Julie Pottinger alias Julia Quinn kann den momentanen Hype manchmal selbst kaum glauben. „Jeder Tag bringt noch tollere Neuigkeiten, ich warte darauf, dass es irgendwann aufhört, aber es wird immer besser“, erzählt sie dem stern. Die 50-Jährige hat bereits über 30 historische Liebesromane veröffentlicht – darunter acht Bücher zu der fiktiven Adelsfamilie Bridgerton. Netflix machte daraus eine opulente Serie, die momentan reihenweise Rekorde bricht. Mit über 82 Millionen Haushalten, die die Folgen abgerufen haben, ist es der größte Serien-Erfolg des Streaminganbieters überhaupt. Und auch Pottinger profitiert vom Zuspruch, ihre Bücher schossen weltweit wieder auf die Bestseller-Listen.

Als der stern die Amerikanerin per Videocall erreicht, spaziert Pottinger gerade in ihrem Zuhause in Seattle an ihrem Schreibtisch mit integriertem Laufband. „Es heißt, Sitzen sei das neue Rauchen“, erzählt sie und plaudert dann über die Kritik an „Bridgerton“ und ihre große Liebe zu den Büchern. 

PAID Liebe in Gedanken 10.40Frau Pottinger, herzlichen Glückwunsch zu dem großen Erfolg von „Bridgerton“.  Ist es Ihnen schwer gefallen, Ihre Bücher in fremde Hände zu geben?

Überhaut nicht! Gleich am Anfang habe ich mit der Produzentin Shonda Rhimes gesprochen. Sie ist die momentan erfolgreichste Frau, nein, die erfolgreichste Person im TV-Business. Ich erzähle doch Shonda Rhimes nicht, wie Serien funktionieren! Das Schlaueste, was du machen kannst, ist andere schlaue Leute zu erkennen. Ich hab ihr also vertraut und es fiel mir sehr leicht. Es gibt immer noch so wenig Frauen in Machtpositionen. Ich hoffe wirklich, dass der Erfolg von „Bridgerton“ dazu beiträgt, dass andere Dinge auch umgesetzt werden. Oft braucht es nur ein Beispiel, das zeigt, dass es funktioniert.

Warum hat es ausgerechnet jetzt funktioniert?

Ich glaube, es wäre immer der richtige Zeitpunkt gewesen, daraus eine Serie zu machen. Aber die Filmindustrie interessiert sich normalerweise nicht für Liebesromane. Da werden vielleicht mal ein paar zeitgenössische Exemplare verfilmt, aber selbst die haben normalerweise nicht viel Geld dahinter. Meist basiert das dann auch nicht auf einem Roman, den eine Frau geschrieben hat, sondern es wird irgendein Typ als Drehbuchautor eingestellt. Bei historischen Liebesromanen kommt hinzu, dass sie sehr teuer sind wegen der Kostüme und dass die Leute eher auf Klassiker wie Jane Austen setzen, weil das Prestige hat. Auf Liebesromane wird herabgeguckt. Es überrascht mich nicht, dass jemand wie Shonda Rhimes kommen musste, die erkannt hat, dass die Geschichten großartig sind und dass da viel Potential liegt. Ich bin nur froh, dass sie meine als erstes entdeckt haben!

Bridgerton Buch
Das Buch zur Serie ist gerade noch einmal neu bei Harper Collins erschienen: „Der Duke & ich“ ist das erste von acht „Bridgerton“-Bänden von Julia Quinn
© HarperCollinsGermany

Die Serie ist in aller Munde, vor allem auch wegen der zahlreichen Sexszenen. Fällt es Ihnen leicht, diese zu schreiben?

Die Sexszenen sind nicht meine Lieblingsszenen zum Schreiben, aber auch keine lästige Pflicht. Mir ist es wichtig, dass die intimen Szenen die Geschichte voranbringen, dass Dialog drin vorkommt. Ich finde es interessant, dass die Leute so viel über die Sexszenen in „Bridgerton“ sprechen und es überall heißt, wie gewagt es ist. Dabei ist es nicht versauter als das, was wir in anderen Filmen zu sehen bekommen. Der Unterschied ist, dass es von einem weiblichen Blickwinkel gezeigt wird. Das kommt so selten vor, dass es als krasser wahrgenommen wird. Die Sexszenen sind so gemacht, dass sie Frauen gefallen und das spielt in die öffentliche Wahrnehmung mit rein.

Es gibt vor allem eine Sexszene, die im Netz für viel Aufregung und Protest gesorgt hat: Darin zwingt die Hauptfigur Daphne ihren Ehemann Simon zum ungeschützten Sex, nachdem sie erfahren hat, wie genau es zu Schwangerschaften kommt. Er will kein Kind und hat ihr das Wissen vorenthalten. Im Buch ist Simon in der Szene sogar stark betrunken. Haben Sie das bewusst als Vergewaltigung geschrieben?

Nein, ich finde nicht, dass es eine Vergewaltigung war. Aber wenn ich es heute nochmal schreiben würde, würde ich den Alkohol weglassen. Interessant ist, dass ich diese Reaktion erst seit ungefähr sechs Jahren bekomme. Das Buch ist im Jahr 2000 erschienen und damals hat niemand etwas dazu gesagt. Im Gegenteil, die Leute haben Daphne angefeuert. Aus heutiger Sicht hat sie aber etwas getan, was gar nicht geht. Das sehe ich auch so, aber unsere Wahrnehmung hat sich verändert.

Inwiefern?

Zum einen verstehen wir seit der #MeToo-Bewegung viel besser, was Einvernehmlichkeit bedeutet. Und zum anderen können sich moderne Frauen nicht mehr mit der Machtlosigkeit von Daphne identifizieren. Dabei sind wir immer noch weit entfernt von Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Das Machtungleichgewicht war damals noch viel stärker, er besitzt sie quasi, sie kann sich nicht mal scheiden lassen. Und dann findet sie heraus, dass er ihr diese wichtige Information vorenthalten hat. Hätte sie dem Sex zugestimmt, wenn sie das gewusst hätte? Es ist also kompliziert. Es soll eine provokante Szene sein, die nicht leicht zu deuten ist. Aber ich finde es wichtig, anzuerkennen, dass sie zwar etwas sehr Falsches tut, aber dass ihr auch etwas angetan wurde.

Liebesromane haben oft einen schlechten Ruf, auch, weil sie Frauen auf die Partnersuche reduzieren. Sind die Geschichten anti-feministisch?

5 Gründe für den Bridgerton Erfolg 12.50Liebesromane sind ein wahnsinnig feministisches Genre. Es wird hauptsächlich von Frauen für Frauen geschrieben, von Frauen lektoriert und bei allem steht die Frau im Mittelpunkt. Die Frau gewinnt immer am Schluss. Ich scherze oft, dass die Frau am Ende tot ist, wenn Männer Liebesgeschichten schreiben. Das ist doch ziemlich anti-feministisch! Wenn wir Frauen sie schreiben, dann stirbt die Frau nicht, sie muss sich auch nicht dafür schämen, sexuelles Verlangen zu haben. Sondern wir haben meist starke Frauen, die ein Ziel haben und am Ende des Buches glücklich sind. Und zwar nicht nur, weil sie einen Mann gefunden haben, sondern weil das dazu gehört. Es ist ja nicht anti-feministisch, einen Partner im Leben haben zu wollen. Oder eben auch keinen.

Für viel Diskussion hat auch die Entscheidung der Serien-Macher gesorgt, zahlreiche Charaktere mit schwarzen Schauspielern zu besetzen. Im Buch sind alle Protagonisten weiß. Wie haben Sie auf diese Änderung reagiert?

Ich finde es großartig! Und ich bin auch sehr dankbar dafür. So viele Menschen haben daran gearbeitet, nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera: Das Autorenteam und die Regisseure waren sehr divers, was Geschlecht, Hautfarbe und sexuelle Orientierung angeht. Die zehren alle von ihren eigenen Erfahrungen und können Welten eröffnen, wie ich es alleine nur schwer kann. Bei Liebesromanen geht es doch um das gute Gefühl, das sie bei den Lesern auslösen. Genau das schafft die Serie auch. Aber weil die Show viel diverser und inklusiver ist, öffnet sie die Türen für noch mehr Menschen, die sich darin wiederfinden können.

Was sagen Sie zu dem Vorwurf, das sei nicht historisch korrekt?

Wenn ich so anfangen würde, müssten alle Helden Syphillis haben! Es ist doch auch eine Fantasie. Wenn ich die Wahl habe zwischen absoluter historischer Korrektheit und der Chance, mehr Leuten ein gutes Gefühl zu geben, dann nehme ich das gute Gefühl.

Sie schreiben unter einem Pseudonym – war es Ihnen Anfangs peinlich, als Autorin historischer Liebesromane aufzutreten?

Oh nein, ich war immer schon stolz darauf, Liebesroman-Autorin zu sein! Auf jeder Dinnerparty hatte ich den spannendsten Job. Die Leute finden das interessant, aber ich werde oft gefragt, wie ich denn ausgerechnet da drauf gekommen sei – als müsste es noch einen anderen Grund geben, außer der Tatsache, dass ich selbst gerne historische Liebesromane lese. Alle sind immer so überrascht, dass eine Liebesroman-Autorin an der Harvard-Universität studiert hat, aber es gibt viele von uns. Wir würden ein ganzes Basketballteam zusammen kriegen – wenn auch ein sehr schlechtes, vermutlich. Das Pseudonym habe ich mir ausgesucht, weil ich ursprünglich Medizin studieren und Ärztin werden wollte. Das hatte sich dann schnell erledigt.

Sie sind mit den „Bridgerton“-Büchern dank der Serie wieder weltweit in den Bestseller-Listen. Haben Sie mit dem großen Erfolg gerechnet?

Die „Bridgerton“-Bücher haben sich schon immer gut verkauft, sie wurden regelmäßig nachgedruckt, ich hab meine Tantieme bekommen. Aber jetzt hat es verrückte Ausmaße angenommen, selbst mein Verlag war überrascht. Wir hatten damit gerechnet, dass die Nachfrage durch die Serie ein wenig steigt, aber die Bücher waren in fast jedem Land ausverkauft. Zum Glück gibt‘s Ebooks!

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