Gesund im Alltag: 10.000 Schritte am Tag – das ist die banale Wahrheit hinter dem Mythos

Klein, schwarz und unscheinbar: So sah das Kästchen aus, mit dem eine meiner früheren Kolleginnen ihre Schritte zählte. Sie trug das Kästchen jeden Tag bei sich, warf immer mal wieder einen prüfenden Blick darauf und verkündigte kurz vor Feierabend die Anzahl der Schritte, die sie heute schon gegangen war – oder noch gehen musste. Ihr Ziel? 10.000 Schritte am Tag. Mindestens. Hatte sie das Ziel bis zum Feierabend nicht erreicht, plante sie noch einen kurzen Spaziergang: Sie lief nach Hause anstatt den Bus zu nehmen oder führte den Hund einer Freundin aus.

Rückblickend muss ich sagen: Meine Kollegin war eine echte Vorreiterin. Heute erfassen gängige Smartwatches und Fitnesstracker die Anzahl der gelaufenen Schritte. Oft orientieren sich die Geräte wie auch deren Träger an der magischen 10.000 Schritte-Grenze. Doch woher stammt sie eigentlich?

10.000 Schritte waren ein Werbe-Bluff

Wer den Ursprung der „10.000 Schritte“ recherchiert, landet schnell bei einem Gerät mit dem Namen „Manpo-kei“. Dabei handelt es sich um einen japanischen Schrittzähler aus den Sechzigerjahren. Um sein Gerät bekannt zu machen, brachte der Hersteller als erstes die Regel von den 10.000 Schritten in Umlauf. Der Werbe-Bluff etablierte sich schnell zu einer allgemeingültigen Empfehlung – die heute allerdings von vielen Medizinern in Frage gestellt wird.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO merkte schon im Jahr 2008 an, dass die Vorgabe Menschen zwar zu mehr Bewegung animieren könnte. Für besonders sesshafte Menschen, etwa Büroarbeiter, sei sie aber schwer zu erreichen. Ziel sollte dann sein, die Schrittanzahl um etwa 2000 bis 3000 Schritte am Tag zu erhöhen.

Tatsächlich glauben einige Experten, dass die 10.000-Schritte-Regel zu hoch gegriffen sein könnte. Im Mai 2019 erschien im Fachblatt „Jama“ eine Studie, die darauf hindeutet, dass bereits 7500 Schritte ausreichend sind, um das Sterblichkeitsrisiko zu senken. Die Aussagekraft der Studie ist jedoch begrenzt, da sie nur an Frauen mit einem mittleren Alter von 72 Jahren durchgeführt wurde. Ob und wie die Ergebnisse auf Männer und jüngere Menschen zutreffen, ist unklar.

Zehn Minuten zügiges Gehen

Unstrittig ist dagegen, dass jedes Mehr an Bewegung grundsätzlich der Gesundheit nutzt. Viel wichtiger als die Anzahl an Schritten könnte dabei eine andere Messgröße sein: die Intensität der Bewegung. „Konzentrieren Sie sich auf schnelles Gehen, nicht nur auf 10.000 Schritte“, rät etwa das Britische Ministerium für Gesundheit und Soziales. Die Behörde unterstützt deshalb eine Kampagne, die Menschen dazu ermutigen soll, am Tag für mindestens zehn Minuten zügig zu gehen. Die Gesundheitseffekte von flottem Laufen seien gut untersucht, erklärt der britische Arzt Muir Gray, der früher für die renommierte Cochrane Collaboration arbeitete. Die Effekte einer bloßen Schrittanzahl hingegen seien das nicht. 

Doch wie viel Bewegung sollte es mindestens sein? Die WHO hat dazu eine weltweite Leitlinie herausgegeben. Die Experten empfehlen in der Woche mindestens 150 Minuten moderate Bewegung, was bedeutet, dass dabei das Herz-Kreislauf-System angekurbelt wird. Moderate Bewegung kann zügiges Gehen, Radfahren oder Schwimmen sein. Die Alternative sind 75 Minuten Sport mit kräftiger Intensität wie Joggen oder Teamsport.

Dabei handelt es sich jedoch nur um die Zahlen für „ausreichende“ körperliche Aktivität. Um die Gesundheit zu verbessern, sollte das Pensum jeweils verdoppelt werden – das entspricht: 300 Minuten Sport mit moderater Intensität oder 150 Minuten intensivem Training in der Woche. Menschen, die diese Werte erreichen, verbessern die Leistung von Herz und Lunge, steigern die Muskelkraft und senken das Depressionsrisiko.

Wie viele Schritte am Tag empfehlenswert sind, wird in der Leitlinie nicht thematisiert.

Quellen: WHO – Global Recommendations on physical activity for health / Public Health England / Jama Internal Medicine

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