Fasziniert haben wir vor wenigen Tagen die Fotos eines in England entdeckten Wassersauriers bestaunt. Wieso werden solche und andere Funde in Deutschland so wenig für interessierte Menschen aufbereitet?
Erinnern Sie sich, als vor wenigen Tagen ein riesiger, versteinerter Wassersaurier in Großbritannien gefunden wurde? Oder nur kurz zuvor ungewöhnlich alte Mammutknochen neben Neandertaler-Werkzeugen? Beide Meldungen schafften es in die internationale Presse, beide Funde wurden ausgiebig in Fernsehdokumentationen in der BBC vorgestellt („Attenborough and the Mammoth Graveyard“, „Digging For Britain“). Genau wie die Tatsache, dass man den Ursprung und den Reiseweg von Stonehenge-Steinen gefunden hatte („The Lost Circle Revealed“). Alles Ereignisse aus nicht einmal zwei Jahren, die neben der Wissenschaftsszene auch große Teile der breiten Öffentlichkeit interessiert haben. Seltsam, dass es in Deutschland solche Funde nicht zu geben scheint. Seit der Himmelsscheibe von Nebra, gefunden 1999 von Raubgräbern, scheint archäologisch in der Bundesrepublik nicht viel passiert zu sein.
Oder bekommen wir davon lediglich nichts mit? Natürlich ist Archäologie ein Thema, das neben den aktuellen Geschehnissen rund um Corona recht nebensächlich wirkt. Zudem: Mit Archäologie verdient man kein Geld. Und gerade in Deutschland steht man der eigenen Geschichte ohnehin skeptisch gegebüber – da sie zum Teil aus unwissenschaftlichem Quark besteht, der von den Nationalsozialisten zusammenfabuliert wurde, und zum Teil aus den Nationalsozialisten. Ein Thema also, das nachvollziehbarerweise extrem belastet ist. Aber sollte man die Frühgeschichte der heute deutschen Regionen nicht gerade deshalb von ungerechtfertigtem Glamour ebenso wie von ungerechtfertigter Missachtung befreien und endlich aus dem wissenschaftlichen Blickwinkel begutachten?
Archäologie: Missachtet, unterfinanziert, ungeliebt
Die Archäologie in Deutschland, so hört man es von vielen, die in diesem Gebiet arbeiten, ist grandios unterfinanziert. Auch an Achtung und Wertschätzung fehlt es. Nötige Ausgrabungen, zum Beispiel vor großen Bauprojekten, werden zumeist von privaten Firmen übernommen. Hauptsache, es geht schnell. In deutschen Dokumentationen kommen Archäolog:innen nur selten zu Wort – meist stehen Schauspieler als Moderatoren im Rampenlicht, Fernsehgesichter wie Harald Lesch, und ansonsten wird mit Laiendarstellern in historisch fragwürdigen Kostümen oder lieblosen Computeranimationen gearbeitet. Dass so etwas kaum jemanden hinterm Herd hervorlockt, wundert nicht.
In Großbritannien werden die erfolgreichsten Formate von Fachleuten präsentiert, die das Publikum längst kennt: Regelmäßig im Rampenlicht stehen die Archäologin Alice Roberts, die Historikerin Lucy Worsley, Naturwissenschaftler und „national treasure“ Sir David Attenborough, Althistoriker Robin Lane Fox, Archäologe Neil Oliver, Archäologe Francis Prior, Historikerin Kate Williams. Ich glaube nicht, dass jemand in Deutschland spontan den Namen eines Archäologen oder einer Historikerin nennen könnte. Aber warum nicht? Warum traut sich die deutsche Medienlandschaft, speziell das Fernsehen, nicht, Fachleute vor die Kamera zu stellen? Dass sogar ein sperriges Thema wie Archäologie zum Mainstream werden kann, zeigte ja etwa die britische Doku-Reihe „Time Team“, in der eine Gruppe von Fachleuten jeweils drei Tage lang bei Menschen Vorgärten umgrub, nachdem diese römische oder sächsische oder viktorianische Scherben in ihrem Blumenbeet gefunden hatten. „Time Team“ war über Jahre ein heißgeliebter Quotenhit, trotz Fachbegriffen und fehlender Dramatik. Die Reihe schuf bei den Briten ein völlig neues Verständnis für die eigene Geschichte, von der die selbst ein Teil waren.
Deutschland ist voller interessanter Funde und Fragen
Eine mögliche Antwort auf die Frage nach den fehlenden prominenten Experten ist vermutlich, dass Fachleute kluge, fachspezifische Dinge sagen könnten, die das Publikum nicht versteht. Und vor nichts hat man als deutscher Medienmacher mehr Angst. In der Vorstellung der entsprechenden Entscheider bekommt der Zuschauer, der länger als eine Sekunde über etwas nachdenken muss, auf der Stelle übermäßig schlechte Laune, löscht den schuldigen Sender direkt aus der Senderliste und schmeißt zur Sicherheit auch noch den Fernseher vom Balkon. Dass diese Angst auch ein Grund für die meist unterirdische Qualität deutscher Filme und Serien ist, steht auf einem anderen Zettel. Wenn es um die Wissenschaftsvermittlung geht, hat das aber bittere Auswirkungen.
In Deutschland wurde der erste Neandertaler entdeckt. In Deutschland befinden sich die womöglich ältesten Wagenspuren der Welt. In Deutschland trafen Kelten auf Germanen, über beide weiß man noch immer viel zu wenig. In Deutschland finden sich Hügelgräber und Megalithen, Moorleichen aus verschiedenen Jahrtausenden – oder zumindest die erhaltenen Reste von alldem. In Deutschland gab es schon im Jahr 150 zahlreiche wichtige Siedlungen, verzeichnet auf der Karte des Griechen Claudius Ptolemäus, die noch immer nicht alle identifiziert sind. Ein spannendes Projekt der Technischen Universität Berlin, das die Kartendaten mit heutigen technischen Methoden korrigieren wollte, bekam fast ausschließlich in Wissenschaftskreisen Aufmerksamkeit. In Deutschland befindet sich mit dem Leipziger Max-Planck-Institut ein Zentrum der Wissenschaft, in dem vor einigen Jahren erstmals gelang, die Neandertaler-DNA zu entschlüsseln. Dass Archäologie und Geschichte hier eine so kleine Rolle spielen, hat nichts mit fehlenden Funden oder fehlendem Wissen zu tun. Nur mit fehlendem Willen.
Mit Geschichte lässt sich kaum Geld verdienen
Ja, Archäologie und Geschichte sind Fachbereiche, die Geld kosten und keines einbringen. Die ein BWL-Fan also schnell und entschlossen als „unwichtig“ abstempeln könnte und würde. Aber wieso haben wir alle dann so begeistert auf die Fotos des gigantischen Fischsauriers aus England geschaut? Wieso wissen wir so wenig darüber, dass in Deutschland unzählige, teils fabelhaft erhaltene Dinosaurierfossilien gefunden wurden und werden? Wieso können manche von uns alle Ehefrauen des berüchtigten englischen Königs Henry VIII. aufzählen, aber kennen außer Karl dem Großen, Barbarossa und vielleicht Wilhelm II. keinen einzigen deutschen Kaiser? (Hier geht es nicht um aufgezwungenes, auswendiggelerntes Kanonwissen, bitte nicht falsch verstehen. Hier geht es um die Möglichkeit, abseits von Wikipedia an leicht zugängliche Informationen zu kommen, die mehr sind als ein buntes Bild und ein Absatz voll oberflächlicher Vermutungen.)
Geschichte als Wissenschaft, die man den Menschen als solche zumuten kann und sollte – die fehlt. Im Fernsehen, im Netz, in der Literatur. Es gibt sie, diese wunderbare Grauzone zwischen Fachchinesisch und oberflächlichem Entertainment, in Großbritannien wird dieser Bereich ja ausgiebig bespielt. Aber in Deutschland scheut man ihn, als wäre er vermint. Vielleicht ändert sich das ja eines Tages. Ansonsten bleibt Menschen, die an Archäologie und Geschichte interessiert sind, oft nichts anderes, als englischsprachige Bücher zu kaufen und englischsprachige Dokumentationen anzuschauen – und dabei über die vielen verpassten Chancen hierzulande zu seufzen.
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